Süddeutsche Zeitung

Jutebeutel mit bedenklichem Aufdruck:"I escaped from Dachau"

Lesezeit: 1 min

Was haben sich die Hersteller bloß dabei gedacht? Ein Internet-Händler hat Jutebeutel mit dem Aufdruck "I escaped from Dachau" angeboten. Einen tieferen Sinn sollte das nicht haben, dennoch sind die Taschen mittlerweile wieder aus dem Sortiment verschwunden.

Von Gregor Schiegl

Es gab eine Zeit, in der man gute Menschen daran erkennen konnte, dass sie eine Jutetasche mit sich führen. Seht her, war das politische Statement, das mit dem Beutel mitschwang, ich hasse Plastik! Ich bin gegen die Wegwerfgesellschaft. Ich denke an die Umwelt, an die Entwicklungsländer, an Nachhaltigkeit - nur dass abgesehen von Forstwissenschaftlern vor 30 Jahren kein Mensch dieses Wort benutzte.

Inzwischen ist die Jute-Tasche, wie man so schön sagt, in der Mitte der Gesellschaft angekommen - auch als pfiffiges Lifestyle-Accessoire. Hier sucht sie neue Bedeutung, und findige Hersteller liefern sie auch. Beim Online-Händler Amazon gab es bis vor Kurzem Stofftaschen mit dem Aufdruck "Ich hasse Dachau" zu kaufen. Zumindest wurde das kopfstehende Herz zwischen "Ich" und "Dachau" als Ausdruck der Abneigung gewertet. Es gab auch eine Version mit dem Aufdruck "I escaped from Dachau", was eingedenk der Historie mit dem Dachauer Konzentrationslager recht makaber klingt.

Der taz im fernen Berlin war der Beutel des Bösen ein ausführlicher Bericht wert, und auch einige Dachauer regten sich ganz furchtbar auf: Da sieht man es mal wieder, die ganze Welt hackt auf uns rum, selbst heute noch. Es ist schlimm, wenn man das Gefühl hat, nicht geliebt zu werden, und noch schlimmer, es auf Jutebeuteln zu lesen, die auch noch weltweit verkauft werden. Und man fragt sich: Was haben sich die Hersteller dabei gedacht?

Die Wahrheit ist: nicht viel. Statt Dachau kann man wahlweise auch München, Berlin, Buxtehude oder Gütersloh hassen - oder auch von dort entflohen sein ("I escaped from Düsseldorf"). Auf diese Weise kann man jede halbwegs bedeutende deutsche Stadt einmal so richtig durchbeuteln.

Tieferen Sinn hat das alles nicht, auch und erst recht nicht in historischem Kontext. Aber es zeigt eines doch ganz deutlich: Während die Dachauer immer noch die alte Paranoia pflegen, sie seien aller Welt Anfeindungen ausgesetzt nur wegen des Namens Dachau, werden sie in Wirklichkeit auch nicht anders behandelt als die Leute aus, sagen wir, Osnabrück. Die Sonderstellung bleibt der Stadt aber: Nach der ganzen Aufregung wurde der Vertrieb von "Ich hasse Dachau"-Beuteln eingestellt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1732364
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.07.2013
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.