Süddeutsche Zeitung

Bergkirchen:Das Bling-Bling des Mondes

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Das Hoftheater Bergkirchen bringt "Frau Luna" auf die Bühne, die Erfolgsoperette von Paul Lincke. Das Schöne an der Inszenierung: Sie ist trotz Glitzer, erotischen Selbst- oder Irrläufern und traumschönen Songs völlig kitschbefreit.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Man muss nicht mondsüchtig sein, um Frau Luna zu verfallen, besonders, wenn die Herrscherin über den Erdtrabanten ihren großen Auftritt im Hoftheater Bergkirchen hat. Am Silvesterabend war dort endlich Live-Premiere von "Frau Luna", der Erfolgsoperette von Paul Lincke. Gefühlte zwei Erdumdrehungen um die Sonne - also zwei Jahre - hat es gedauert, bis - abgesehen von einem Stream im vergangenen April - Boden-, Luft- und Mondpersonal ihr ganzes Können zeigen konnten. Und das wegen der derzeit erlaubten geringen Zuschauerzahl gleich zweimal vor einem begeisterten Publikum. Regisseur Herbert Müller hat die turbulente Fassung der Berliner "Bar jeder Vernunft" noch einmal corona-konform zurechtgestutzt. Ulrike Beckers hat bei den Kostümen mit Glitzer und Glamour nicht gespart und mit viel Lichterglanz und einem herrlich absurden Fortbewegungsmittel mal erdverhaftete, mal mondromonatische Stimmung gezaubert.

Das Schöne an dieser Inszenierung: Sie ist trotz Bling-Bling, erotischen Selbst- oder Irrläufern und traumschönen Songs völlig kitschbefreit, lässt Wiener-Walzerseligkeit souverän links liegen. "Frau Luna" ist eben eine Berliner Operette, in der der Realitätssinn überwiegt. Was sich beispielhaft im bekanntesten Song "Schlösser, die im Monde liegen" zeigt: Statt sich in solchen Träumen zu verlieren, heißt es: "Um im Glück dich einzuwiegen, hast du auf der Erde Platz." Dazu passt, dass der zweite Schauplatz des Geschehens kein prunkvoller Palast ist, sondern das Dach einer Berliner Mietskaserne, womöglich im dritten Hinterhof, wo die kleinen Leute wohnen.

Die "Berliner Luft" wogt fröhlich und unbekümmert durchs Hoftheater

Hier leben die sich in unerfüllter Liebe verzehrende Bissgurk'n Frau Pusebach (Janet Bens, bewaffnet mit Kapotthut, Krückstock und Berliner Kodderschnauze) und ihre naive Nichte Mariechen, gespielt von Annalena Lipp im blau-weiß getupften Kleidchen und mit seligem Augenaufschlag, sobald sie ihren pfiffigen und vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Mechanikus Fritz Steppke (Tobias Zeitz) sieht. Der will auf den Mond und hat mit Unterstützung des etwas verplanten Schneiders Lämmermeier (Ansgar Wilk) einen Stratosphärenexpressballon konstruiert. Dieser kommt schnell als Fluchtfahrzeug zum Einsatz, denn Frau Pusebach verlangt die ausstehende Miete, gerät ungewollt mit ins Mondfahrzeug, während Lämmermeier noch vor der Landung auf dem Luna Airport spurlos verschwindet.

Unter der gestrengen Aufsicht von Haushofmeister Theophil (ein gravitätisch vor sich hin schreitender Ansgar Wilk) tobt ein buntes Völkchen durch die mystische Mondlandschaft. Theophil entspricht genau dem Beuteschema der sich ihrer Reize sehr bewussten Mondfee Stella (Annalena Lipp im knappen Pailletten-Outfit), ist aber selbst diversen Ausflügen auf die Erde nicht abgeneigt. Prinz Sternschnuppe (Tobias Zeitz als Möchtegern-Don-Juan) ist seit 300 Jahren scharf auf Frau Luna (Janet Bens als hochnäsige Power-Lady), bringt ihr singend und ganz Pavarotti-like "bunte duft'ge Blumen". Vergebliche Liebesmüh, denn die Dame mit dem Hang zum Bling-Bling - vom Diadem auf dem Kopf bis zu den feinsten Stiefeletten an den Füßen - hat mehr als ein Auge auf Mechanikus Steppke geworfen. Frau Pusebach schließlich erkennt in Theophil den vor Jahren abhanden gekommenen Liebhaber wieder. Um das Tohuwabohu komplett zu machen, schwirren auch noch diverse Glühwürmchen, die ganz songgerecht "flimmern und schimmern", sowie etliche Mondelfen durch die Nacht. Sie singen all die Melodien, die diese Operette so lebensfroh machen und tanzen, dass es nur so eine Lust ist.

Was für das Publikum erst einmal ein zum Brüllen komisches Verwirrspiel ist, machen alle Beteiligten zur echten Meisterleistung. Petra Morper am Flügel wird von den eingespielten Arrangements von Max. I. Milian begleitet, so entsteht im kleinen Hoftheater großer Orchesterklang. Die vier Hauptakteurinnen und -akteure werden von zwei "Kulissenschiebern" unterstützt. Das Sextett tobt dermaßen quicklebendig über die Bühne, schlüpft mit affenartiger Geschwindigkeit von einer Rolle und damit von einem Kostüm ins andere, dass man nur staunen kann. Doch egal, ob sie gerade erdverbunden oder mondverliebt sind: Alle strahlen ein unglaubliches Glücksgefühl aus, endlich "ihre" Operette spielen zu können. Sie berlinern mit Wonne, schmachten mal diese mal jenen an und machen aus diesem Operettenmärchen Medizin für die Seele in mühseligen Corona-Zeiten.

Fürs leibliche Wohl hat Frau Pusebach eine handfeste Empfehlung: "eine Schmalzstulle zwischen de Kauleiste." Die Berlinerin Janet Bens, alias Frau Pusebach und Frau Luna in Personalunion, hat ihren Kolleginnen und Kollegen die Feinheiten des Berliner Dialekts vermittelt und im Programmheft ein kleines Wörterbuch zusammengestellt. Ansgar Wilk, gebürtiger Schwarzwälder, hat dagegen seinen Theodor nach Herzenslust schwäbeln lassen - was immer wieder für Heiterkeitsausbrüche im Zuschauerraum sorgt. Die "Berliner Luft" wogt fröhlich durchs Hoftheater, trägt hinaus ins neue Jahr und macht das Leben gerade sehr viel schöner.

Die nächsten Vorstellungen sind am Samstag/Sonntag, 28./29. Januar.

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SZ vom 03.01.2022
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