Süddeutsche Zeitung

Alte Dachauer Papierfabrik:Industriemuseum auf dem MD-Gelände: "Uns läuft die Zeit davon"

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Auf dem MD-Gelände soll einmal ein Arbeiter- und Industriemuseum entstehen, um die Geschichte des Geländes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ein Besuch im Depot.

Von Jana Rick, Dachau

"So sah es hier früher aus." Friedrich Thoma zeigt auf das große Bild im aufgeschlagenen Leitzordner vor sich und blickt dann wieder auf die leere Fläche, die sich vor ihm erstreckt. Bagger stehen dort aneinander gereiht auf dem aufgerissenen Boden, dazwischen zugefrorene Pfützen. "Werk" steht auf dem Ordner von Thoma. Er hat darin Fotos von seiner früheren Arbeitsstätte gesammelt, ordentlich sortiert und mit Jahreszahlen beschriftet.

1962 hatte der gelernte Maschinenbauer auf dem ehemaligen MD-Gelände seinen ersten Arbeitstag und erlebte seitdem den gesamten Wandel mit, von der Hochzeit der Fabrik bis zum Abriss. Seit 2007 steht hier alles still, seit im vergangenen Herbst die oberirdischen Abbrucharbeiten abgeschlossen worden sind, hört man hier nur noch kreischende Krähen und das Rauschen des Mühlbaches. Ist es nicht traurig für Thoma, diese leere Fläche vor sich zu sehen? "Traurig ist für uns nur, dass es jetzt so aussieht und dass nichts passiert", meint der 73-Jährige.

Seit drei Jahren wird über das ehemalige MD-Geländer gesprochen, verhandelt, diskutiert. Dabei sind unter anderem die Stadt Dachau, der Investor Isaria und verschiedene Kulturschaffende Dachaus involviert, entsprechend viele Ideen kursieren, wie man die Fläche in Zukunft nutzen könnte. Mit im Gespräch ist auch ein Arbeiter- und Industriemuseum, um die Geschichte des Geländes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Entstehen soll dieses in den denkmalgeschützten Gebäuden, die man vom blauen Isaria-Infoturm in der Ostenstraße aus erkennen kann. Hier oben steht nun Thoma, der sich bereits viele Gedanken zu einem möglichen Museumskonzept gemacht hat. Im Jahr 2013 hatte er einen Museumsverein mit weiteren ehemaligen Mitarbeitern gegründet, um all die Ideen zum damaligen MD-Museum gemeinsam zu sammeln. Doch der Verein löste sich irgendwann auf, die Initiative habe sich "im Sand verlaufen", sagt Thoma. Heute ist er der Meinung, dass es in Bezug auf die aktuellen Planungen an Entscheidungen mangelt, an Initiativen, an konkreten Konzepten, die Museumslandschaft umzusetzen und zu gestalten. Man müsse alles endlich "zu Papier bringen".

Im Wasserturm könnte ein Café entstehen

Er klappt seinen Ordner zu und steigt langsam den Turm hinab. "Gehen wir mal rein", mit diesen Worten gewährt er Eintritt in die Welt, die von Außenstehenden nur noch zu erahnen ist, und die nun Teil von etwas Neuem werden soll. Oder könnte. Da ist der gewaltige Wasserturm, der vielleicht in ein Café verwandelt werden könnte oder in eine Aussichtsplattform, doch die Restaurierung würde mindestens eine Millionen Euro kosten. "Und dann? Wie kommen die Leute alle da rauf? Sogar über einen Lift wurde schon gesprochen", Thoma schüttelt den Kopf. Er freut sich über die Vorschläge und das Interesse am Gelände, doch er ist der Meinung, dass alles "stimmig" sein müsse, um ein "Gesamtbild" zu ergeben. Dafür müsse auch feststehen, welche Themen man verwirklichen wolle, in welchen Räumen man diese umsetzt und wie man sie aufbereitet.

Thoma ist vor allem in Bezug auf Letzteres skeptisch: Der pädagogischen Umsetzung. "Wenn da eine riesige Granitwalze liegt, dann kann ich mit der Hand darüber langen und freue mich. Aber für jemand anderes? Da steht dann vielleicht noch ein Schild mit der Beschriftung "Granitwalze", aber was sagt das schon aus? Da muss man eine Verbindung schaffen. Und das ist schwierig. Sehr schwierig." Man brauche auf jeden Fall Videos und Bilder, um den Prozess vom Holz zum Papier zu zeigen, "da muss sich was bewegen". Und wer Thoma kennt, der weiß auch: Man braucht Menschen wie ihn. Die mit Herzblut in der Fabrik gearbeitet haben, die täglich in die Werkskantine gegangen sind, den Schichtplan von damals noch auswendig im Kopf haben. Doch auch darüber macht sich der ehemalige MD-Mitarbeiter Gedanken. "Uns läuft die Zeit davon. Wir sollten mit dem Museum nicht zu lange warten. Sonst geht uns viel verloren."

Friedrich Thoma klappt wieder seinen Ordner auf, zeigt auf ein Bild, das eine meterlange Maschine zeigt, die "PM3"— Papiermaschine 3. Blitzschnell dreht Thoma sich um, zeigt auf die leere Baufläche linkerhand, da stand sie mal. Und dort die PM2. Hier die PM1. Er klappt den Ordner wieder zu. Und weiter geht es, dieses Mal in das kleine gelbe Häuschen, das schräg vor dem Wasserturm steht. "1862" steht darauf. "Warum 1862?" fragt Thoma. Er stellt oft Fragen, testet seine Zuhörer, als ob er sie wachhalten möchte. Doch das ist gar nicht nötig.

Seit den 1970-er Jahren waren darin auf zwei Stockwerken verteilt Informationen zur Entstehungsgeschichte der Fabrik und ihren Arbeitern zu finden. Nun sind die Räume leer und kalt, die rund 400 Exponate wurden in München für den Zeitraum der Bauarbeiten eingelagert. Thoma war beim Abhängen und Einpacken selbstverständlich dabei, nummerierte die Bilder und legte eine Liste mit allen Gegenständen an. "Damit wir Ordnung haben, wenn sie alle wieder hierher zurückkommen sollten." Nun hängen also kleine Zettel an der kahlen Wand im ersten Stock, "0149", "0150". Daneben ist ein großer grauer Abdruck zu erkennen, an dieser Stelle war bis vor drei Jahren die Stempeluhr der Fabrik. Zur Zeiterfassung der Mitarbeiter. Ein Holzkasten mit den Zeiterfassungskärtchen ist noch im Keller des kleinen Museums zu finden, etwas verdreckt, aber ordentlich sortiert. Thoma hebt dort am Boden eine Stange aus Metall auf. "Wissen Sie, was das ist?". Einige Sekunden später ist man aufgeklärt: Es ist ein Papierstärkemessgerät. Ein Bild zur Erklärung der richtigen Anwendung hat Thoma natürlich in seinem Ordner parat.

Im Erdgeschoss lassen viele graue Umrisse an den Wänden auf die Gegenstände schließen, die hier früher hingen. Thoma kann sie alle zuordnen, kennt jede Maschine, jedes Schriftstück. Nun wirken die Abdrücke sehr verlassen, trotz Thomas lebendiger Erzählungen. "Nadelbrett" steht auf einer der kleinen Metalltafeln neben einem Umriss. "Damit kann niemand etwas anfangen. Da fehlt doch jedem die Vorstellung", seufzt Thoma. Und genau deswegen brauche es eine Einordnung, gut durchdachte Erklärungen für die hochtechnische Thematik. "Also, das Nadelbrett. Ganz einfach erklärt,..." setzt er an.

Geht ihm in Bezug auf die Museumsplanung langsam die Energie aus? "Nein", kommt es deutlich zurück. "Mir geht nur das Ziel ab." Denn seit 2007 stehen all die Gegenstände, Maschinen, Bilder und auch Thomas Erinnerungen zur Verfügung. Man müsse nur endlich etwas daraus machen. Nach zwei Stunden Rundgang und Erzählungen hat man zumindest einen ungefähren Eindruck von der damaligen Zeit gewonnen; man weiß jetzt, wer Gustav Medicus war und welche Rolle das Weinmannhaus auf dem Gelände spielte. Dank Thoma sind Museumsführungen auch ohne Museum möglich. Der 73-Jährige verschließt das verlassene Gelände nach dem Besuch wieder sorgsam mit dem Bauzaun. Dann schnallt er seinen Leitzordner hinten auf den Gepäckträger seines Fahrrads und nimmt ihn wieder mit zu sich nach Hause.

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