Neue Ausstellung in Dachau:Der Tod trägt Boxhandschuhe
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Unter dem Titel "Spielräume" zeigt der Leipziger Künstler Patrick Fauck Druckgrafiken von hintergründigem Witz. Auch die Vielfalt der Stile und Techniken macht die Präsentation in der KVD-Galerie äußerst sehenswert
Von Gregor Schiegl, Dachau
Acht Stunden vor der Vernissage ist die längste Wand der KVD-Galerie immer noch leer. Nicht dass Patrick Fauck zu wenige Bilder mitgebracht hätte. Es sind eher zu viele. Jetzt lehnt der letzte Schwung gerahmter Druckgrafiken an der Wand, eine neben der anderen, manchmal ist dazwischen kaum noch eine Handbreit Abstand. Das dürfte eng werden. Der Künstler will sie trotzdem alle aufhängen, jetzt, wo er sie schon aus Leipzig herangekarrt hat. "Manche werden vielleicht sagen: Weniger wäre mehr gewesen", sagt der Künstler mit dem grauen Lockenschopf. Aber eigentlich ist das seine geringste Sorge. Die Omikron-Variante produziert Tag für Tage neue Rekordzahlen in den Corona-Infektionsstatistiken. Die Frage lautet, ob die Ausstellung überhaupt wie geplant bis 13. Februar gezeigt werden kann, oder ob Fauck vorher schon wieder einpacken muss.
Spezialisiert hat sich der Künstler auf die Druckgrafik, auf den Holz- und Linolschnitt, die Lithographie, den Siebdruck und den schon fast in Vergessenheit geratenen Lichtdruck. Davon wird später noch die Rede sein. "Druckgrafik ist immer indirekt", erklärt Patrick Fauck seine Leidenschaft für dieses gern unterschätzte Medium. Im Gegensatz zu Malerei, bei der das Bild unmittelbar auf einer Leinwand entsteht, nimmt die Druckgrafik über ihre Druckplatten, Farben und speziellen Papiere Umwege, die immer wieder für hübsche, manchmal auch weniger hübsche Überraschungen sorgen. "Es bleibt bis zum Andruck eine spannende Angelegenheit." Nicht ohne Bedacht hat Fauck für die Ausstellung "Spielräume" als Titel gewählt. "Ich kann tun und lassen, was ich will", sagt er. "Das ist ein schönes Gefühl von Freiheit."
"Der Stromanbieter" als neuer Prometheus
Und diese Freiheit nutzt er auch. Techniken und Motive sind so verschieden, dass man auf den ersten Blick gar nicht glauben mag, dass all diese Bilder aus der Hand desselben Künstlers stammen sollen. Mal ist die Optik flächig und plakativ, mal findet man zeichnerische Radierungen mit expressiver Linienführung, mal flirren einem quietschbunte Wimmelbilder vor Augen. Anleihen und Referenzen aus der Kunstgeschichte finden sich zuhauf: Pop-Art, Expressionismus, Symbolismus, Barock, Surrealismus, neue Sachlichkeit und vieles mehr. "Ich konnte nie einen durchgehenden Stil entwickeln", sagt Fauck. Als wäre diese überbordende Vielfalt etwas, das einer Rechtfertigung oder gar Entschuldigung bedürfte.
Fast alle Arbeiten tragen einen Titel, so auch die Druckgrafik mit einer Silhouette Pinocchios: "Function follows form", der den Grundsatz des Designers auf den Kopf stellt: An der ellenlangen Holznase hängt eine Laubsäge; der Metallbogen ist exakt so weit gefasst, dass die Nase, die Pinocchio beim Lügen wie ein Besenstiel aus dem Gesicht wächst, sich auf menschliches Normalmaß stutzen lässt. Was nicht passt, wird passend gemacht. Liebenswürdiger kann man Fake-News-Apologeten mit ihren zurecht gestümperten Fakten kaum auf die Schippe nehmen.
Mit dem Titel gebe er dem Betrachter "noch eine Zutat", sagt Fauck. Diese Zutat muss man sich wie ein feines Gewürz vorstellen, das der Speise noch den letzten Pfiff verleiht. Manchmal ist es auch umgekehrt, und das Wort - meist ein sonderbarer Begriff aus der an Sonderbarkeiten reichen deutschen Sprache - wird unmittelbar ins Bild gesetzt, was ziemlich lustig werden kann. "Der Stromanbieter" ist in Faucks Interpretation eine von hellgelb glühenden Fäden durchzogene Lichtgestalt. "Das ist der neue Prometheus", sagt der Künstler verschmitzt.
Man kann nur immer wieder staunen, wie Fauck mit leichter Hand klassische Topoi und Banalitäten des modernen Alltags zusammenschirrt. In "Kunst am Bau" hämmert ein eifriger Specht die Venus von Milo aus einem Baum. Darunter dudelt ein Grammophon auf dem Stuhl, ein Stück dahinter steht ein demolierter Opel. "Wenn sich die Leute amüsieren, soll es mir recht sein", sagt Fauck. Seine heitere Art darf man aber nicht mit einem Mangel an Ernsthaftigkeit verwechseln. "Veni, vidi, vici" ist eine Grafik betitelt, in der ein Skelett mit Boxhandschuhen lässig davonschlurft, während in der linken Bildhälfte etwas explodiert und in tausend Stücke springt. Siegreich ist der Tod. "Das kann man auch als Kriegsbild sehen", sagt der Künstler.
Mit Licht und Gelatine
Den gebürtigen Saarländer hat es nicht zufällig nach Leipzig verschlagen. Die Stadt gilt als Bastion der Druckgrafik; hier gibt es noch eine Vielzahl künstlerischer Druckwerkstätten. Sogar der Lichtdruck wird hier noch praktiziert, der inzwischen einen derartigen Seltenheitswert hat, dass Künstler weltweit nur drei Möglichkeiten haben, um in einer entsprechend ausgestatteten Werkstatt arbeiten zu können. Man muss nach China reisen. Oder nach Japan. Oder eben Leipzig.
Anfang des 20. Jahrhunderts entstand der Lichtdruck parallel zur Fotografie. Gedruckt wird mit Glas. Eine dünne Gelatineschicht wird auf den Druckstöcken aufgetragen und durch das Negativ des Fotos belichtet. Wo das warme Licht durchdringt, trocknet die Gelatine und bildet sogenannte Runzelkörner, wie Fauck erklärt. Man muss das nicht im Einzelnen verstehen, es ist ziemlich kompliziert, aber wer weiß, wie's geht, kann damit wunderbare Dinge schaffen.
Diese Technik ermöglicht zum Beispiel, echte Zwischentöne wiederzugeben ohne die kleinste Rasterung. Faksimiles wichtiger Dokumente, aber auch Fotografien seien früher so reproduziert worden, erzählt Fauck. "Man konnte auch sehr erfolgreich Banknoten nachmachen." Mit den heutigen Sicherheitsstandards würde das wahrscheinlich nicht mehr funktionieren, außerdem ist der Lichtdruck extrem anspruchsvoll. Obwohl er schon seit vielen Jahren damit arbeite, sei er froh, die Experten der Leipziger Druckwerkstätten an seiner Seite zu haben, sagt Fauck. "Mir unterlaufen immer noch Fehler." Und so ein Druck wie sein "Falscher Hase" wäre gar nicht zu machen, wenn nicht ein ganzes Team zusammengewirkt hätte.
Das Fazit: "Spielräume" ist eine ungeheuer abwechslungsreiche, unterhaltsame und witzige Ausstellung. Sie dürfte auch bei Besuchern Gefallen finden, die um zeitgenössische Kunst sonst eher einen großen Bogen machen. Der Witz, die herrlichen Motive und die große Kunstfertigkeit Faucks machen diese Schau zu einem Erlebnis und zu einem wahren Vergnügen. Zu lange sollte man einen Besuch allerdings nicht aufschieben. Corona könnte den "Spielräumen" schon bald wieder ein Ende machen.
"Spielräume - Druckgrafik", Ausstellung von Patrick Fauck in der KVD-Galerie. Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag 16 bis bis 19 Uhr, Sonntag 12 bis 18 Uhr. Aktuell gilt für Besucher die 2G-Plus-Regel. Schnelltests unter Aufsicht vor Ort sind möglich. Schnelltest wenn möglich selbst mitbringen, der Vorrat ist begrenzt.