Süddeutsche Zeitung

Demo in Dachau:Klingelingeling

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Mitglieder der Dachauer Ortsgruppe von "Fridays for Future" protestieren bei einer Fahrraddemo am Landratsamt gegen das Kohleausstiegsgesetz. Ihre Forderung an den Landrat: Einen Diskurs innerhalb der CSU anstoßen.

Von Julia Putzger, Dachau

Die Sonne brennt vom Himmel, als sich die Demonstranten von "Fridays for Future" am Mittwochnachmittag am Unteren Markt in Dachau einfinden. Diesmal gibt es bis auf ein Schild, das in einem Rucksack steckt, zwar keine Plakate oder Banner, dafür ein Klingelkonzert. Denn um trotz des Coronavirus sicher demonstrieren zu können, haben sich die Veranstalter für eine Fahrraddemo entschieden. Egal also, ob altes Klapperrad oder modernes Mountainbike: Das wichtigste Accessoire ist die Klingel oder Hupe. Fahrbereit muss der Drahtesel aber natürlich auch sein - ein Problem, mit dem Organisator Michael Staniszweski zunächst zu kämpfen hat. Sein Fahrrad, das just vor der Demo einen Platten bekam, muss deshalb am Unteren Markt stehen bleiben, Staniszewski fährt mit einem geliehenen Rad weiter.

Eigentlich finden die Demonstrationen von "Fridays for Future" - wie der Name schon sagt - freitags statt. Doch diesmal wäre der Freitag zu spät. Denn das, was den Dachauer Aktivisten unter den Nägeln brennt, soll schon am Freitag im Bundestag verabschiedet werden: das Kohleausstiegsgesetz. Dieses wende sich gegen den Klimaschutz und die Forderungen von "Fridays for Future", sagt Michael Staniszewski. Denn Kohlekonzerne erhielten vom Staat so hohe Entschädigungszahlungen, dass selbst der reduzierte Betrieb ihrer Kraftwerke bis ins Jahr 2038 noch profitabel sei. Deshalb würden sie weiterhin am Netz bleiben und Deutschland könne somit nicht die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen.

"Ach, schon wieder so eine alternative Meute"

Der Tross, bestehend aus rund 30 Teilnehmern und angeführt von einem Polizeiwagen, bewegt sich gemächlich auf der Münchner Straße nach Süden und biegt in die Bahnhofsstraße ein. Weiter geht es auf der Frühlingsstraße, der Martin-Huber-Straße und dann entlang der Mittermayerstraße rund um die Altstadt. Die Autos müssen Platz machen, an den Ampeln bilden sich kleine Staus, während die Radler laut klingelnd vorbeifahren. Am Kopf des Zuges ruft Staniszewski laut: "Hopp, hopp, hopp", die Teilnehmer antworten aus einer Kehle "Kohlestopp!" Aufgrund fehlender Schilder und Transparenten ist das für viele Passanten jedoch der einzige Hinweis darauf, um was es der Menge eigentlich geht. Viele der entgegenkommenden Autofahrer blicken ratlos in die Gesichter der radelnden Demonstranten, in ihren verständnislosen Blicken scheint man zu erkennen: "Ach, schon wieder so eine alternative Meute."

Nach dem letzten Streckenstück auf der Augsburger Straße und dem Bürgermeister-Zauner-Ring kommt die Fahrraddemonstration auf dem Parkplatz hinter dem Landratsamt zum stehen. "Eigentlich wollten wir unsere Kundgebung ja vor dem Landratsamt abhalten, aber Landrat Stefan Löwl (CSU) meinte, dass wir dann wichtige Dinge stören würden", erklärt Staniszewski den Teilnehmern. So macht "Fridays for Future"-Mitglied und Kreisrat Jonathan Westermeier (Linke/Die Partei) seinem Unmut eben zwischen den geparkten Autos Luft: ",Fridays for Future' wird ja immer wieder vorgeworfen, dass wir keinen Überblick der ökonomischen Zusammenhänge hätten. Aber eigentlich ist es die große Koalition, die nichts kapiert. Es ist ein Wahnsinn sondergleichen und eine Unverschämtheit, was da passiert." Er ruft die Demonstranten deshalb dazu auf, sich per Mail an die Bundestagsabgeordneten der Region zu wenden, um sie zum Umdenken beim Kohleausstiegsgesetz zu bewegen.

"Es spiegelt eben die Attitude der Parteien wider"

Dass die Demo in Bezug auf die Entscheidung im Bundestag wirklich etwas bewirkt, das bezweifelt selbst eine der Teilnehmerinnen. Auf lokaler Ebene sei Mobilisierung bei einem bundesweiten Thema besonders schwierig. Vor allem auf Grund der Spontanität - "Fridays for Future" hatte die Demo erst am Montag organisiert - fehlten Schilder, um Passanten zu zeigen, um was es eigentlich geht. Auch Fée van Cronenburg, ebenfalls Organisatorin und "Fridays for Future"-Mitglied gibt zu, dass dieses Thema auf lokaler Ebene nicht einfach sei: "Die Lokalpolitik kann eigentlich nichts dafür. Der Landrat kann so eine Entscheidung schließlich nicht aufhalten. Aber er könnte einen Diskurs innerhalb seiner Partei, die ja zur großen Koalition gehört, anstoßen und wenn das mehrere machen würden, könnte sich schon etwas bewegen." Es passiere eben nur etwas, wenn man es auch zulasse. Dementsprechend sei Stefan Löwls Haltung, eine Kundgebung vor dem Landratsamt als störend abzustempeln, auch symbolträchtig. Van Cronenburg meint: "Es spiegelt eben die Attitude der Parteien wider."

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SZ vom 03.07.2020
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