Süddeutsche Zeitung

Theaterpremiere:Die Geschichte einer Selbstzerstörung

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Die Thoma-Gemeinde stellt sich der Entwicklung ihres Namensgebers zum antisemitischen Hetzer

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Dem scharfen Blick von Gertrud Weber entgeht nichts: "Die Schuhe passen nicht", kommentiert sie das turbulente Geschehen auf der Bühne im Stockmann-Saal des Ludwig-Thoma-Hauses. Dort hat sich gerade eine Festgesellschaft versammelt, um mit dem Namensgeber des städtischen Veranstaltungshauses zu feiern. Der gibt den Jovialen, gleicht eher einem Großbauern als einem be- und gerühmten Literaten und wird gespielt von Wolfgang Möckl. Es ist Proben-Endspurt für das jüngste Stück der Ludwig-Thoma-Gemeinde: "Thoma - eine Selbstzerstörung". So viel Thoma muss sein im Gedenkjahr an den 150. Geburtstag des Schriftstellers, den die Forschung mittlerweile vom Sockel des Säulenheiligen der bayerischen Literatur geholt hat.

Die Thoma-Gemeinde habe sich ausdrücklich ein Stück gewünscht, das sich einerseits kritisch mit der Person Thoma auseinandersetze, andererseits auch dessen unumstrittene literarische Qualitäten würdige, sagte der Vorsitzende der Theatergruppe, Edi Hörl. Kein ganz einfaches Unterfangen für Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler. Entstanden sei in fast zweijähriger Vorbereitungszeit eine "Collage mit Szenen aus Thomas' Theaterstücken", erklärt Göttler. Es ist übrigens das erste Theaterstück über den Schriftsteller überhaupt. Deshalb ist die Premiere am Freitag nicht nur eine Welturaufführung, sondern die erste Auseinandersetzung mit Thoma auf der Bühne.

Der Autor Norbert Göttler hat die Schauspieler in die Arbeit eingebunden

Norbert Göttler hat der Thoma-Gemeinde kein fix und fertiges Werk geliefert, sondern sie mit eingebunden. "Das war und ist work in progress", sagt er. Seine eigene Intention beschreibt er so: "Ich will den Konflikt zwischen dem Werk und der zerrissenen Person zeigen. Das war ja alles von Kindheit an in ihm angelegt. Er war ja zunächst eher von frohen Geistern umgeben, die haben seine Impulsivität genutzt, aber ihm politische und moralische Leitplanken gebaut."

Die "frohen Geister" sind die Wegbegleiter Thomas' vor dem Ersten Weltkrieg: der Verleger Albert Langen, der enge Freund Ignaz Taschner, Hermann Hesse, Ludwig Ganghofer. Aber auch der nachmalige Bundespräsident Theodor Heuss gehörte dazu. Der Erste Weltkrieg, der Sündenfall Europas, und seine vergebliche Suche nach dem privaten Glück hätten Thomas' Weltbild völlig verändert, "er hatte keinen Halt mehr", sagt Göttler. So sei aus dem "Satiriker Peter Schlehmil" (ein Pseudonym Thomas') der "Hetzer vom Tegernsee" geworden, dessen antisemitischen Tiraden auch eingefleischte Thoma-Verehrer erschrecken müssten. Wie aber lässt sich diese Entwicklung auf der Bühne darstellen? Dazu hat Göttler autobiografische Szenen, Traumsequenzen, Ausschnitte aus Thomas' Stücken und dessen Briefwechsel gewählt. Der junge Regisseur Ben Möckl hat die Figur des Wilhelm Käsebier (eine von Thomas' bekannten literarischen Gestalten) eingefügt. Dieser nimmt den verbitterten Thoma in dessen letztem Lebensjahr 1921 in seinem Refugium auf der Tuften mit auf eine imaginäre Reise durch dessen Leben. Knapp 30 Personen verkörpern die Darsteller der Thoma-Gemeinde im Lauf der zweistündigen Handlung. Etliche spielen gleich mehrere Rollen. Geprobt wird seit einem halben Jahr.

Regie führt der 17-jährige Sohn des Hauptdarstellers

Regie führt - auch das eine Premiere - Ben Möckl. Sein Vater, Wolfgang Möckl, Hausregisseur der Thoma-Gemeinde, wollte die Hauptrolle übernehmen. Warum? "Wie kann sich ein Mensch so radikalisieren? Das ist die Frage, die heute wieder total aktuell ist. Das Ambivalente zwischen den eher ruhigen Seiten und der Polterei hat mich gereizt. Da hätte ich nicht noch Regie führen können", sagt Wolfgang Möckl. Sohn Ben, der sich intensiv mit der "Selbstzerstörung" des Schriftstellers beschäftigt hatte, sprang ein. "Geschichten haben mich schon immer interessiert. Und was ist besser, als eine Geschichte zu erzählen und auf die Bühne zu bringen?", sagt der 17-Jährige, der kurz vor dem Abitur steht. Sein großer Vorteil seien die vielen erfahrenen Darsteller. Das zeigt sich auch bei der Probe: Vorschläge nimmt der Regisseur an und auf, lässt sich aber nicht aus dem Konzept bringen.

Und Gertrud Weber, seit Jahren für Kostüme und Requisiten zuständig? Sie achtet auf jedes Detail, hat wieder einmal ihren umfänglichen Fundus geplündert, freut sich, dass viele Mitwirkende mit ihrer eigenen - natürlich passenden - Garderobe zur Ausstattung beitragen. "Und die Stiefel sind ja noch beim Schuster", sagt sie und hakt den Punkt "falsche Schuhe" von ihrer Liste ab.

"Thoma - eine Selbstzerstörung". Ludwig-Thoma-Haus, Freitag/Samstag 31. März/1. April, 20 Uhr, Sonntag, 2. April, 18 Uhr, Freitag/Samstag, 7./8. April, 20 Uhr, Sonntag, 9. April, 18 Uhr.

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SZ vom 30.03.2017
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