Süddeutsche Zeitung

Dachau:Der Lebensretter

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Warum sich Oliver Welter seit knapp 25 Jahren bei der Dachauer Wasserwacht einsetzt und wie er damit umgeht, nicht immer rechtzeitig helfen zu können.

Von Petra Neumaier, Dachau

Oliver Welter atmet auf: Nach den dramatischen Einsätzen im Juni und drei Toten ist es wieder ruhig geworden. Außer kleineren Vorkommnissen, wie die Versorgung von Wespenstichen oder Schnittwunden, gab es an den drei Wasserwachtstationen nicht viel zu tun. "Unsere Hauptaufgabe ist sowieso die Lebensrettung durch Prävention", sagt der Leiter der Kreiswasserwacht Dachau, der 2016 sein 25. Jahr im Ehrenamt begeht.

"Schuld" daran, dass er bei der Wasserwacht gelandet war, sei sein Vater, sagt Oliver Welter gleich mit einem Augenzwinkern. Auch er war hier Mitglied und hatte den Sohn einfach mitgenommen. "Ich war eben schon immer eine Wasserratte", sagt der Sportler lachend. Als Zwölfjähriger schwamm er aktiv in der Jugendgruppe, mit 16 Jahren bei den Erwachsenen. Dort wurde er zu den Ausbildungen motiviert: Rettungsschwimmer, Rettungstaucher, Sanitäter, Motorbootschein, Einsatzleiter Wasserrettungsdienst... so ziemlich alle Qualifikationen hat Oliver Welter erreicht.

Eine zweite Familie

Andere Vereine hat er in seiner Jugend zwar ausprobiert: Feuerwehr und Schützen. Aber das Element "Wasser" und der Reiz, viel draußen zu sein, setzten sich durch. Und auch die Kameradschaft: "Beim Wachdienst ist man mit Leuten zusammen, die man gut kennt und mit denen man mindestens eine Gemeinsamkeit hat." Abgesehen davon sind seine besten "Kumpels" im Verein ("Da braucht man sich nie zu verabreden, sehr praktisch!"). Die Wasserwacht ist für den 40-Jährigen zweifellos noch immer eine zweite Familie, in der man sich kennt, versteht und gut aufgehoben fühlt.

Seit 2001 ist er Vorsitzender der Ortsgruppe Ainhofen/Indersdorf. Vor zwei Jahren übernahm Welter zusätzlich das Amt des Kreisleiters. "Ich bin jemand, der gerne meckert, aber auch genauso gerne etwas tut", sagt der vielseitige Lebensretter, der sein IT-Studium in München als Rettungsdienstfahrer finanzierte. Damals investierte er noch sehr viel Zeit in sein Hobby bei der Wasserwacht. Jetzt, nach einer 50- bis 60-Stunden-Arbeitswoche, ist sie sehr geschrumpft. "Ich rechne lieber nicht nach", sagt der selbständige IT-Fachdozent sowie Gründer und Geschäftsführer eines IT-Unternehmens. Aber dann rechnet er doch und kommt auf sechs bis acht Stunden in der Woche.

Alle 14 Tage hat Oliver Welter offiziellen Dienst: Am Karlsfelder See oder in den Freibädern in Dachau und Ainhofen. Hinzu kommen etwa zwei Mal im Monat diverse Sitzungen sowie zusätzlich Aus- und Weiterbildungen. Und ein bisschen stöhnt er beim Aufzählen all der Aufgaben eines Vorsitzenden, um dann gleich wieder zu relativieren. "Die Herausforderung und das sinnvolle Gefühl, anderen Leuten helfen zu können, machen Spaß."

Konkurrenzdenken? Fehlanzeige!

Glücklicherweise komme echte Lebensrettung bei der Wasserwacht extrem selten vor. Und noch weniger, abgesehen von diesem Sommer, die Konfrontation mit Toten. Oliver Welter, der alleine in seiner Zeit als Rettungsdienstfahrer viele tragische Fälle erlebte, ist froh, jemand zu sein, der rechtzeitig abschalten kann. "Ich betrachte meine Arbeit als Dienstleistung, sonst ginge das nicht", sagt er und setzt hinzu: "Die Leute wären ja auch tot, wenn ich nicht gekommen wäre. Und das Schicksal verstehen zu wollen, das bringt einen nicht weiter. Immerhin habe ich versucht, zu retten und brauche mir keine Schuld zu geben."

Die Arbeit bei der Wasserwacht sei zudem der perfekte Ausgleich zum Beruf. Konkurrenzdenken? Fehlanzeige! Druck? Oliver Welter zuckt mit den Schultern. "Bei der Wasserwacht bekommt man mehr zurück als im Job", sagt er und meint damit auch mehr Erfolgsbestätigung. Wenn zum Beispiel nach einem Kurs zehn Kinder ihr erstes Schwimmabzeichen, das "Seepferdchen", erhalten. "Dann erlebt man die Folgen der Arbeit unmittelbar", sagt Oliver Welter und strahlt.

"Erst, wenn mal einer ertrunken ist, wird man auf uns aufmerksam."

Einzig die öffentliche und politische Anerkennung, geschweige denn die finanzielle Unterstützung der Wasserwacht, enttäuscht ihn. "Natürlich werden bei Katastrophen ab und zu nette Reden gehalten, aber die gesamte Wertschätzung lässt doch zu wünschen übrig", ärgert er sich ein bisschen. Vielleicht, mutmaßt der Dachauer Kreisleiter, liegt es daran, dass man zu wenig von den Rettern sehe. Eine Feuerwehr im Einsatz sei viel präsenter.

"Erst, wenn mal einer ertrunken ist, wird man auf uns aufmerksam", bedauert er. Und dann fragten sich die Leute manchmal, wie es denn sein könne, dass jemand stirbt, obwohl die Wasserwachtler doch... Oliver Welter erläutert: "Auch wir haben keinen 360-Grad-Rundumblick und können nicht überall gleichzeitig und zu jeder Zeit aufpassen."

Trotz des einen oder anderen Ärgernisses gibt es für Oliver Welter keinen besseren Platz als bei der Wasserwacht. "Ich bin sehr zufrieden und sehe keinen Grund, in absehbarer Zeit aufzuhören."

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Quelle:
SZ vom 25.08.2015
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