Asylrecht:"Haft ohne Verbrechen"
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Auf Einladung der Seebrücke Dachau liest Sebastian Nitschke aus seinem Buch "Die Würde des Menschen ist abschiebbar". Wie aktuell das Thema auch im Landkreis ist, wird in der anschließenden Diskussion klar: Gerade erst sind wieder zwei Menschen aus Dachau in Abschiebehaft gelandet.
Von Martin Wollenhaupt, Dachau
Adem K., geboren in Alzenau, ist 34 Jahre alt, als er 2018 in Darmstadt in Abschiebehaft kommt. Seine Haft wird 93 Tage dauern und am 1. September 2018 mit einer Abschiebung in die Türkei enden. "Der Flur ist 17 Schritte lang", erzählt Adem K. über das Gefängnis, in dem er untergebracht ist. "Das ist unser Aufenthaltsort, wenn wir uns mal bewegen wollen. Fünf Menschen mit unterschiedlichen Kulturen, die in einem Gang, der 17 Schritte lang ist, auf und ab laufen."
"Es gibt kein Obst und Gemüse", schreibt Adem K. weiter. Morgens und abends gebe es Brot. Obwohl 70 Prozent der dortigen Menschen Muslime seien, werde kein koscheres Fleisch angeboten. Wer sich beschwere, bekomme Schlaf- und Beruhigungstabletten. "Bis zu drei Stück am Tag. Jeden Tag." Dabei, erzählt Adem K., seien er und die vielen anderen, die hier ausharren müssten, keine Straftäter. Er schließt mit einem Apell: "Keiner hat das verdient. Hochachtungsvoll, Adem K. geboren in Deutschland, abschiebepflichtig in die Türkei."
Sebastian Nitschke und Lina Droste haben Schilderungen wie diese in ihrem Buch "Die Würde des Menschen ist abschiebbar" zusammengetragen. Am vergangenen Samstag hat Nitschke auf Einladung der Seebrücke Dachau im Adolf-Hölzl-Haus daraus vorgelesen. Denn das Thema Abschiebungen, es beschäftigt Ausländerbehörde wie Helferkreise auch hier im Landkreis Dachau immer wieder.
"Haft ohne Verbrechen", nennt Autor Nitschke das, was Menschen wie Adem K. widerfährt. Welche Gründe für eine Inhaftierung von Asylbewerbern reichen, erklärt der Autor an diesem Abend in Dachau ausführlich: Identitätstäuschung, also die Angabe eines falschen Namens, Geburtsdatums oder Herkunftslandes. Aber auch das "Untertauchen". Dieses gelte bereits dann als erwiesen, wenn ein Asylsuchender drei Tage lang nicht in seiner Unterkunft erscheine, ohne sich ordnungsgemäß abgemeldet zu haben.
Seit 2017 engagiert sich Nitschke für Geflüchtete
Nitschke engagierte sich zwischen 2017 und 2020 neben seinem Studium der Sozialen Arbeit in Darmstadt bei der Gruppierung "Community for all - solidarische Gemeinschaften statt Abschiebehaft". Zunächst ging er auf die Straße, um die Eröffnung eines Abschiebegefängnisses in Darmstadt zu verhindern. Als das nicht gelang, versuchte er Häftlinge durch juristische Mittel aus dem Gefängnis zu holen, portraitierte Häftlinge und führte mit ihnen Interviews. 2021 erschien sein Buch.
Der Autor kritisiert darin nicht nur die Haftbedingungen: Schon bei der Asylbeantragung stelle die Behörde die Geflüchteten vor große Hürden, sagt er. Asylsuchende könnten sich oft nicht angemessen verteidigen, da oft nur ein kleiner Anteil des Antrages übersetzt sei. Insgesamt erinnerten Nitschke das Prozedere an Romane Franz Kafkas: "Eine undurchsichtige Struktur von Beamtenschaft und Verwaltung."
Die Dachauer Helferkreise erzählen von Zellen, nicht größer als sechs Quadratmeter
In anschließenden Diskussion bestätigen Mitglieder der Seebrücke und Helferkreisen diese Zustände im Umgang mit Asylbewerbern in Dachau genauso wie die Abschiebehaftbedingungen in Bayern. Sie erzählen von vergitterten Fenstern, hohen Mauern mit Stacheldraht und Zellen von sechs Quadratmetern Größe.
Nanette Nadolski vom Weichser Helferkreis sitzt im Publikum und berichtet von zwei Verhaftungen im Landkreis Dachau, just in den vergangenen zwei Wochen. Die Personen seien "aus der Ausländerbehörde heraus wegverhaftet" worden. In einem der beiden Fälle sei die Person unter einem Vorwand in die Hände der Polizei gelockt worden: Eigentlich habe der Asylbewerber nur seine monatliche Auszahlung von Sozialhilfen abholen wollen, so Nadolski.
Auf Nachfrage bestätigt das Landratsamt diese beiden Fälle: Zwei Menschen aus Nigeria seien jüngst in Abschiebehaft genommen worden. Das Amt nennt die Abschiebehäftlinge "hartnäckige Identitätsverweigerer". Einer, der seit 2015 in Deutschland lebt, habe wegen "massiver Straffälligkeit" keine Aussichten auf das Chancenaufenthaltsgesetz. Der andere Mensch, der seit acht Jahren in Deutschland wohnt, habe sich bereits "des Erschleichens von Leistungen, versuchten Betrugs und unerlaubten Aufenthalts ohne Pass" schuldig gemacht.
"Gilt die Menschenwürde wirklich überall?"
Formulierungen, die, wie Martin Modlinger von der Seebrücke und zugleich Landtagskandidat der Grünen, kommentiert, krimineller klängen, als sie seien: Hinter dem "Erschleichen von Leistungen" stecke oft das Schwarz-Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, hinter dem "versuchten Betrug" falsche Angaben in schwer verständlichen Behördenformularen, "egal, ob Absicht oder nicht". Schon unterschiedliche Schreibweisen eines Namens würden als "Identitätstäuschung" geahndet.
Das große Verbrechen dieser Menschen sei, so Modlinger, "dass sie eine Zukunft suchen". Zum Ende der Lesung wirft er deshalb in Anlehnung an Nitschkes Buchtitel noch einmal die Frage auf: "Gilt die Menschenwürde wirklich überall?"