Süddeutsche Zeitung

Bauprojekt in Dachau:Anwohner klagen gegen Kündigung

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Die Bagger sind längst angerollt, um alte Gebäude auf dem MD-Gelände abzureißen. Dort soll ein neues Stadtviertel entstehen. Doch noch immer leben acht Familien auf dem Areal.

Von Petra Schafflik, Dachau

Die Produktionshallen der ehemaligen MD-Papierfabrik werden gerade Stück für Stück abgetragen, Abraumhalden und technisches Gerät prägen an der Ostenstraße das Bild. Doch obwohl der Abbruch des Traditionsunternehmens seit Monaten läuft, leben noch acht Familien auf dem Gelände. Um diese letzten Bewohner zum Auszug zu bewegen, hat die Isaria Dachau Entwicklungsgesellschaft als Eigentümer bereits im vorigen Jahr Kündigungen verschickt. Und auch massiv Druck ausgeübt, wie Mietervereins-Vorstand Wolfgang Winter berichtet.

Bei einem Gespräch, so Winter, sei gedroht worden, den Bewohnern Wasser und Strom abzustellen. Winter wandte sich an Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), der nach eigenem Bekunden dann gegenüber Isaria kommuniziert hat, "dass ich so ein Vorgehen nicht akzeptiere". Isaria dagegen betont in einer Stellungnahme, nach Ablauf der Kündigungsfrist zum Ende Mai hätte dann im Juni die Versorgung "bauseitig bedingt" eingestellt werden sollen. Weil die exakte Lage aller Leitungen nicht bekannt ist, wollte man ein "Gefahrenpotenzial für die Beschäftigten der Abbruchunternehmen" vermeiden. Da die Mieter nicht ausgezogen seien, werde die Versorgung aufrechterhalten, "so lange dies sicherheitstechnisch vertretbar ist". Tatsächlich, das bestätigt Mieteranwalt Winter, leben die Mieter in ihren Wohnungen "mit der üblichen Grundversorgung."

Auf dem MD-Gelände, wo die Papierproduktion 2007 eingestellt wurde, soll ein neues Stadtviertel entstehen. Ein städtebaulicher Entwurf wird dafür entwickelt und seit Anfang des Jahres laufen im Vorgriff auf künftiges Baurecht bereits Abbruch und Altlasten-Entsorgung. Vor diesem Hintergrund ist auch dem Mietervereins-Vorsitzenden Winter klar, "dass die Mieter auf dem MD-Gelände nicht auf Dauer bleiben können". Nicht zuletzt sind die Gebäude, in denen die Menschen leben, "in einfachem Zustand", erklärt die stellvertretende Mietervereins-Vorsitzende Frauke Odenthal, die als Rechtsanwältin die Betroffenen vertritt. Die Bewohner, überwiegend ältere, ehemalige MD-Mitarbeiter mit kleinem Einkommen, hätten sich nach neuen Wohnungen umgesehen, bisher aber erfolglos. Für eine Sozialwohnung, so Odenthal, seien alle vorgemerkt. Dennoch "muss immer erst eine Wohnung neu gebaut oder frei werden, bevor jemand von der Warteliste einziehen kann", sagt der OB. Dass auch auf dem MD-Gelände eine ansehnliche Anzahl von Sozialwohnungen geplant ist, nützt den Mietern erst einmal nichts. Sie benötigen jetzt eine bezahlbare Unterkunft.

Für die Betroffenen hat Anwältin Odenthal deshalb gegen die Kündigung Klage eingereicht. Vor allem mit dem Ziel, Zeit zu gewinnen. Zeit, in der die Betroffenen auf der Warteliste für eine Sozialwohnung nach oben rutschen oder anderweitig eine preiswerte Wohnung finden können. Denn müssten sie die Wohnung sofort räumen, bliebe nur eine städtische Notunterkunft. Ein Schicksal, das den Betroffenen erspart bleiben soll. Die Isaria als großer Immobilienkonzern könnte doch Wohnungen als Übergangslösung anbieten, denkt Mieteranwalt Winter. In dieser Richtung habe sie jedoch "noch kein Signal vernommen", sagt Anwältin Odenthal. Isaria betont, vor der schriftlichen Kündigung hätten persönliche Gespräche mit jeder einzelnen Mietpartei stattgefunden, auch eine "erhebliche finanzielle Kompensationen für den Auszug" sei angeboten worden. Doch was die Betroffenen benötigen, sei vorrangig nicht Geld, sondern eine bezahlbare Wohnung, erklärt Mieteranwalt Winter. Auch bei der Wohnungssuche will Isaria unterstützen, heißt es in der Stellungnahme. Problematisch sei, dass die Mieter in ehemaligen MD-Werkswohnungen enorm preisgünstig wohnen. "Eine Wohnung zu einer ähnlichen Kaltmiete auf dem aktuellen Markt zu finden, ist ausgeschlossen", schreibt Isaria.

Wie es weitergeht, entscheidet sich vor Gericht. Wird die Klage der Mieter abgewiesen, müssen sie ausziehen. "Dann ist die Stadt zuständig", sagt Hartmann. Andernfalls könnten alle vorläufig wohnen bleiben. Der Zeitplan für Abbruch und Altlastenentsorgung werde durch die laufende Klage nicht beeinträchtigt, teilt Isaria mit. Doch die Tatsache, dass auf dem Gelände noch Gebäude bewohnt sind, "behindert die Abbrucharbeiten allerdings, da wir bei allen Arbeiten Rücksicht auf die Bewohner nehmen". Verzögerungen sind auch nicht im Sinne der Stadt, der an einer reibungslosen Altlasten-Entsorgung viel liegt. Diese soll abgeschlossen sein, bevor ein Bebauungsplan fürs MD-Gelände Rechtskraft erlangt. Allen Beteiligten wird daran gelegen sein, dass die acht betroffenen Familien rasch eine neue, für sie bezahlbare Unterkunft finden.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2019
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