Süddeutsche Zeitung

Kultur in Dachau:Zieht euch warm an

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Die suggestiven Gemälde des Berliner Künstlers Jonathan Drews in der Dachauer Volksbank machen erfahrbar, wie wenig der Mensch den Kräften der Natur entgegenzusetzen hat

Von Gregor Schiegl, Dachau

Wenn man weit genug rauskommt aus den Städten, raus aus den Straßen mit ihren gedämmten Häusern und voll klimatisierten Büros, gelangt man bisweilen an Orte, die so weit und leer sind, dass man staunend begreift, wie groß die Welt ist und wie klein man selbst. So weit der Horizont auch reicht, dahinter geht es weiter, immer weiter, und wer den Blick nach oben richtet, schaut in die Unendlichkeit. Diese existenzielle Erfahrung kann man derzeit auch in der eher überschaubaren Schalterhalle der Volksbank Dachau machen. Dort ist noch bis einschließlich Freitag, 15. Oktober, die Ausstellung "Phoenix" von Jonathan Drews zu sehen: Man steht vor zimmerhohen Gemälden mit sturmumtosten Gipfeln, scharfkantigen Felsen, glutweiß herabstiebenden Wasserfällen und Wäldern aus gebrüdergrimmgrausiger Schwärze, ein ehrfurchtgebietendes Theatrum Mundi in Öl.

Die Ausstellung reiht sich ein in die Serie "Kunst und Bank" und sie tut es doch nicht; sie ragt heraus mit ihren gewaltigen kulissenhaften Bildformaten von bis zu 2,50 Metern Höhe. Als die Kuratorin der Volksbank, Bärbel Schäfer, zum ersten Mal die Arbeiten von Drews sah, war sie zutiefst beeindruckt: "Es hat mich umgehauen!" Der Künstler ist 1985 in Dachau geboren, das ist aber auch das einzige biografische Fädchen, das ihn mit der Großen Kreisstadt verbindet, er lebt und arbeitet in Berlin. Aber ist das wichtig? Was Drews macht, das hat man so in Dachau noch nicht zu sehen bekommen. "Das ist mal was Neues", sagt Bärbel Schäfer mit dem stolzen Lächeln einer Entdeckerin.

Was sofort ins Auge fällt: Drews Kunst hat nichts gemein mit den ländlichen Idylle und pittoresken Lichtspielen der Freilichtmalerei. Hier erlebt man eine Natur, die dem Menschen trotzt. Wer vor oder besser gesagt in seinen Bildern steht, meint die schneidende Kälte der Bergluft im Gesicht zu spüren, das Licht erscheint auf manchen Gemälden so gleißend, dass man unwillkürlich die Augen zusammenkneift, und manchmal spürt man sogar einen leichten Schwindel, wenn man in die felsigen Abgründe blickt, die eine beunruhigende Sogwirkung entwickeln. Das liegt auch daran, dass die Perspektive oft erhöht liegt, als würde man selbst in einer Steilwand hängen oder in der Luft schweben wie ein Greifvogel.

Jonathan Drews hat sich in jungen Jahren selbst einige Zeit als Falkner erprobt. Der Umgang mit diesen Tieren erfordert nicht nur großes Geschick, sondern auch die Gabe, sich das Denken und Fühlen der wendigen Jäger zu eigen zu machen. Warum dann nicht die gleiche Sichtweise einnehmen wie er, den Luftraum zwischen den Steilwänden scharf im Blick? Der Raum und die Weite, sie sind mehr als bloß atmosphärischer Hintergrund. Auch wenn man bei Drews Berge sieht, Wälder und schneebedeckte Gipfel: "Das ist keine Landschaftsmalerei", erklärt Ausstellungsmacherin Bärbel Schäfer. "Es ist etwas, das unser ganzes Dasein betrifft." Eine Kosmologie in Bildern, bei der auch der Malprozess eine ganz zentrale Rolle spielt. Wie am ersten Schöpfungstag herrscht auf Drews Leinwand erst einmal Schwärze. Das aus einer Vielfalt von Ölfarben gewirkte Licht wird erst im zweiten Schritt aufgetragen, oft ganz archaisch mit Fingern und Händen, der Radius des Arms, die Abstände der Finger, all diese anatomischen Details fließen ein in die Strukturen seiner Bilder, die sich vor dem Auge zu gewaltigen Szenerien auffalten. Immer wieder trägt Drews neue Schichten auf, alte schabt er ab oder verwischt sie, dazwischen lässt er seinen Gemälden auch mal Zeit zu ruhen, ehe der Bildaufbau weitergeht oder der Spachtel nach erdgeschichtlichem Vorbild Rinnen und Spalten ins Gestein meißeln darf. Wobei das mit den Felsen auch eine Interpretationssache ist: Malt Drews wirklich Berge oder glauben wir das nur, weil das Auge nur sieht, was das Hirn ohnehin schon kennt?

Trotz der zarten, manchmal fast ein wenig impressionistisch anmutenden Farbigkeit haben diese gemalten Szenerien nichts Anheimelndes. Es ist eine harte, kompromisslose Natur, die allen Anwandlungen romantischer Verklärung die eisige Schulter zeigt. Selbst die Vegetation hat etwas Dunkles, Feindseliges. Der Wald steht schwarz am Hang, das Unterholz ist struppig. So sieht kein Sehnsuchtsort aus, dies sind vielmehr die im Unterbewusstsein eingelagerten Kulissen kindlicher Urängste. Und doch und gerade deswegen kann man nicht anders, als mit wohligem Schaudern diese Farbmassive zu betrachten, in der sich Natur und menschliche Vorstellungskraft überlagern und zur Impression einer Urgewalt verschmelzen.

Dass man ähnlich ergriffen ist wie bei manchen der von Einsamkeit durchwehten romantischen Landschaftsbilder Caspar David Friedrichs - man denke nur an den vor einen schwarzen Ozean getupften "Mönch am Meer" - ist gewiss nicht kein Zufall. Werke von Malern, die ihn beeindruckt haben, "durchschwimme" er gerne mal, erzählt Drews. Aus den Tiefen der Kunstgeschichte holt er sich Anregungen und Kniffe für seine eigenen Bilder. Insofern ist es nur folgerichtig, dass Bärbel Schäfer im Katalog zur Ausstellung auch einen längeren Exkurs zur Ideen- und Motivgeschichte der Landschaftsmalerei des 18. und 19. Jahrhundert mit aufgenommen hat. Vieles davon findet sich bei Drews wieder, wenn auch sehr sublim.

Menschen sieht man auf den Gemälden übrigens nie, nicht mal eine Hütte oder einen Trampelpfad. Die menschliche Zivilisation existiert auf Drews Bildern nicht (oder schon nicht mehr). Manchmal, aber nur ganz selten, zeigt sich ein schwarz-gelber Vogel am Bildrand. Es ist ein Pirol, in dessen schwarz-gelbem Gefieder man die Farben von Asche und Feuer wieder erkennen kann. Es grüßt der sagenhafte Phönix, sich selbst verbrennend ersteht er aus der Asche immer wieder neu: Ob der Mensch überlebt oder nicht, die Welt wird sich weiterdrehen und in den Lüften über den Gipfeln werden die Vögel ihre Kreise ziehen.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2021
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