Süddeutsche Zeitung

Asylsuchende präsentieren Spezialitäten ihres Landes:Leckeres Quabilizierungsprogramm

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Afghanistan hat eine reiche Ess- und Tischkultur, das zeigt der Kochkurs von Flüchtlingen in der Volkshochschule Altomünster

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

"Nein dieser Topf geht gar nicht!" Die drei jungen afghanischen Asylsuchenden Edris, Feroz und Sefatullah schütteln energisch den Kopf. Sie wollen in der eigentlich bestens ausgestatteten Küche der Altomünsterer Schule Quabili und andere Spezialitäten ihres Heimatlandes zubereiten respektive zubereiten lassen. Denn die Volkshochschule Altomünster (VHS) veranstaltet ihren ersten afghanischen Kochkurs, frei nach dem Motto: Integration funktioniert via Kommunikation. Elf Teilnehmer haben sich angesagt. Edris, Feroz und Sefatullah sind die Dozenten. Seit zwei Jahren leben sie in Deutschland, kämpfen den entnervenden Kampf vieler Geflüchteter um Anerkennung und einen Ausbildungsplatz. Jetzt finden sie sich in einer ungewohnten Rolle wieder.

"Wir sind die Lehrer?", fragen sie ungläubig, als die Idee eines Kochkurses erstmals auftaucht. Aus der anfänglichen Nervosität ob ihrer nicht perfekten Deutschkenntnisse ist schnell Ehrgeiz geworden. Schließlich klappt die Verständigung untereinander längst, obwohl die einen Dari, die anderen Paschtu sprechen - zwei der vielen Landessprachen Afghanistans.

Lektion eins: Der Mensch braucht eine Aufgabe, dann fallen die Sprachbarrieren fast wie von selbst. Nun sind sie eigens nach München gefahren, um afghanische Spezialitäten einzukaufen, haben lange mit ihrer Begleitung vom Helferkreis in der lokalen Metzgerei diskutiert, welches Fleisch in welchen Mengen sie für das Festtagsgericht Quabili auswählen. Lektion zwei: Fleisch ist Nebensache, weil es in Afghanistan viel zu teuer ist. Öl in großen Mengen und von guter Qualität ist dagegen so unverzichtbar wie Zwiebeln und Tomaten. Lektion drei: Die afghanische Küche ist nichts für Low Fat- und Low Carb-Jünger. Doch erst einmal droht ein Kochdebakel; es braucht den richtigen Topf, "sonst wird das Suppe." Rettung naht in Form eines gusseisernen Exemplars. Das Schöne: Einen Abend lang geht es nicht um Krieg und Terror im Land am Hindukusch. Es geht nicht um ungewisse Zukunftsperspektiven für traumatisierte Flüchtlinge, sondern um eine reiche Esskultur und familiäre Kochtraditionen.

Die erste, unvermeidliche Frage: Wo haben Edris, Feroz und Sefatullah kochen gelernt? Indem sie ihre Mütter in Afghanistan via Handy nach deren Rezepten gefragt haben, indem sie in ihren Unterkünften gemeinsam kochen und essen. Afghanischen Spinat, Quabili, Bolani, das sind gefüllte Teigtaschen, und Kofta, eine Art Hackfleischbällchen in Tomatensoße, wollen sie mit den neugierigen Teilnehmern zubereiten. Das kommt dem einen oder anderen irgendwie bekannt vor. Was nicht verwunderlich ist, weil das heutige Afghanistan seit Jahrtausenden so etwas wie ein Wegkreuz für die verschiedensten Handelsrouten von und nach Europa, Zentralasien, den indischen Subkontinent und China ist. Das hat die Esskultur geprägt, hat den Europäern beispielsweise Weizen, Erbsen, Möhren, Zwiebeln, Maulbeeren und Pistazien beschert, den Afghanen viele heute unverzichtbare Produkte wie Reis und Mais, Auberginen und Melonen, Zitrusfrüchte und Tomaten.

Das erfahren die Teilnehmer so nebenbei, denn sie sind vollauf damit beschäftigt, alle Zutaten nach Anweisung ihrer Dozenten zu schneiden, zu hacken und zu reiben. Sie kneten und rollen den Hefeteig für Bolani und Brot, lassen sich alles genau erklären, schreiben eifrig mit und pausieren kurz bei einer Tasse Tee. Schnell kommt es zu dem, was Soziologen interkulturellen Austausch nennen. Dass Spinat nach afghanischem Kochverständnis stundenlang vor sich hinköcheln und ständig umgerührt werden muss, beweise wieder mal, "dass Vitamine völlig überschätzt werden", sagt eine Teilnehmerin grinsend und wandert zur nächsten Kochstelle.

Dort herrscht Sefatullah über das berühmte Quabili und dessen durchaus komplizierte Brat-, Koch- und Dämpfvorgänge. Auch bei Feroz ist das Gedränge groß: Kofta sind keine schnöden Fleischbällchen, sondern erfordern große Sensibilität und Können, damit daraus ein fluffiges Kunstwerk wird. Edris weiht in die Finessen des Brotbackens und der afghanischen Tischkultur ein. Das Ergebnis aller Anstrengungen: Gemeinsam Kochen und Essen verbindet - noch viel mehr aber verbindet lachen und reden. Das grenzenlose Kochvergnügen findet seine Fortsetzung in einem weiteren afghanischen Kochkurs im Sommer, am Freitag, 1. Juni.

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Quelle:
SZ vom 06.02.2018
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