Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus an Schulen:Das Schweigen durchbrechen

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Im Landkreis Dachau soll es Vorfälle wie den an der Schule in Grafing angeblich nicht geben. Doch häufig wissen die Lehrer gar nicht, was in Klassenchats passiert oder sie wollen den Ruf ihrer Schule nicht schädigen. Doch nur wenn antisemitische Hetze auffliegt, besteht die Möglichkeit einer Auseinandersetzung

Kommentar von Helmut Zeller

Für ein Gesamtbild antisemitischer Übergriffe an Schulen fehlt eine gesicherte Datenbasis. Das wiederum ist erstaunlich, da doch kaum ein Thema in diesem Land von statistischen Erhebungen ausgenommen ist. So soll es im Landkreis Dachau derartige Vorfälle an Schulen nicht geben. Mit zwei Einschränkungen: Einmal weiß eine Schule überhaupt nicht, was sich in den Klassenchats abspielt, weil sie dazu keinen Zugang hat. Zum anderen spielen eine Scheu, aber auch Unwissenheit eine Rolle. Häufig genug, das belegen wissenschaftliche Untersuchungen, bagatellisieren Lehrer und Schulleiter entsprechende Äußerungen von Schülern und Vorfälle - um den Ruf ihrer Schule nicht zu gefährden. Auch sind die Pädagogen nicht dafür ausgebildet, mit Antisemitismus in Klassenzimmern und auf Schulhöfen umzugehen. Tatsächlich erkennen viele Pädagogen antisemitische Codes und Strukturen, etwa bei sogenannten israelkritischen Erklärungen, überhaupt nicht. Und noch schlimmer: Auch Lehrkräfte sind nicht frei von einschlägigen Ressentiments.

Deshalb gebührt dem Leiter des Gymnasiums Grafing Dank. Er hat die Schweigespirale durchbrochen. Respekt verdienen auch diejenigen Schüler, welche die antisemitische Hetze im Chat auffliegen ließen - nur so besteht die Möglichkeit zur Auseinandersetzung, inklusive nötiger rechtlicher Ahndung. Mit einem häufig gehörten Satz, wie "Das hat er nicht so gemeint", ist jedenfalls nichts gewonnen. Und nebenbei gesagt: Vielleicht sollte man die Erfahrungen und Klagen jüdischer Gemeinden oder Schülerinnen und Schüler über ihren Schulalltag, sie sind eigentlich seit Jahren bekannt, einfach mal wahrnehmen. Dann würde von nichtjüdischer Seite nicht so oft mit großer Überraschung reagiert. Dann würde man erkennen, dass die bekannt gewordenen Fälle an Schulen nur die Spitze des Eisbergs darstellen.

Der Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle hat zu Recht eine Überarbeitung der Lehrpläne gefordert und eine zusätzliche Ausbildung von Lehrern. Der Landkreis hat die gute Entscheidung für den Aufbau eines Bildungsmonitoring für die Schulen getroffen. Dabei soll auch die Qualität des sozialen Miteinanders evaluiert werden, hoffentlich nicht auf Cybermobbing beschränkt, sondern auch im Hinblick auf Antisemitismus und Rechtsextremismus. Nicht weil Jugendliche unter Generalverdacht stünden, sondern weil sie es wert sind, sie gegen den Hass zu immunisieren. Wie Max Mannheimer das getan hat. Wer ihn kannte, weiß, er wäre schon in Grafing und Ebersberg, um mit den Jugendlichen zu reden - weil er niemals einen Menschen aufgegeben hat.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2019
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