Süddeutsche Zeitung

Altomünster:Magie und Alltag

Lesezeit: 3 Min.

Bernhard Springer ist ein Videokünstler und Filmwissenschaftler aus München. Vor allem aber ist er ein Reisender und Sammler von Geschichten und Ideen, die er jetzt im Museum von Altomünster zeigt

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Gestandene Mannsbilder in Arbeitskleidung, uniformes Business-People, Frankensteinmäßig mit einem Tier experimentierende Forschertypen und lasziv posierende Frauengestalten verstecken ihre Gesichter hinter Masken. Diese sind nicht von der hübschen, venezianisch-karnevalistischen Art, sondern archaisch, ein wenig bedrohlich sogar. Nehmen sie doch den Menschen ihre Individualität. Beim genauen Hinsehen aber sind hinter den fremdartigen Gesichtsbemalungen Augen, Mund und Nase erkennbar. Das Verborgene, die eigene Persönlichkeit, wird sichtbar.

Die großformatigen Acryl- und Lackbilder sind Teil der neuen Ausstellung des Museumsvereins Altomünster mit Werken von Bernhard Springer. "Ghosts - Geister" hat Springer diese Serie genannt. Sie wird ergänzt von zauberischen, fetischartigen Objekten im Obergeschoss des Museums mit dem beziehungsreichen Titel "VoodooDada". Am Sonntag, 5. Juni, 15 Uhr, ist Ausstellungseröffnung. Springer zeigt auf der Vernissage auch eigene Filmarbeiten nebst einem Rückblick auf dreißig Jahre Videokunst der Münchner Künstlergruppe Ex-Neue Heimat, deren Gründungsmitglied er ist. Zudem stellt er eine limitierte Edition "Altomünster" mit kleinformatigen Originalarbeiten aus "Ghosts" vor. Die Werkeinführung übernimmt Peter Schultes, der die Ausstellung initiiert hat.

Keine Chance auf einen Auftritt haben übrigens Hexen oder Perchten, obwohl Letztere mit ein Auslöser für Springers intensive Auseinandersetzung mit Masken, Gesichts- und Körperbemalungen indigener Völker und ihrer Bedeutung in der jeweiligen Kultur haben. Eine weitere Initialzündung lieferten Indianer. Zunächst die Film- und Romanhelden, später die raue Lebenswirklichkeit der indianischen Bevölkerung von Kanada bis Brasilien, die er auf vielen Reisen erkundete - ebenso wie die Lebenssituation der Karen im Goldenen Dreieck zwischen Laos, Thailand und Myanmar oder die immer noch geheimnisvolle Welt der Aborigines in Australien. Anspielungen auf deren tradierte Bräuche gibt es in seinen Bildern und Objekten zuhauf. Klug vermeidet Springer dabei alles Folkloristische. Vielmehr sind der wechselseitige Einfluss unterschiedlichster Kulturen aufeinander, die eigene Bereitschaft sich mit Unbekanntem, Fremdem auseinanderzusetzen, seine Themen.

Springer, der lange Jahre in gewissem Sinn ein "Doppelleben" als Wissenschaftler und Künstler führte, sagt im Gespräch mit der SZ, worauf es ihm ankommt: "Wenn ich unterwegs bin, muss ich mich mit dem beschäftigen, was ich sage oder tue, bevor ich es ausspreche oder mache.". Was er damit meint, macht er an einem Beispiel deutlich. Auf einer seiner Reisen ist er irgendwo in Asien in einem Dorf stecken geblieben. Auf die Frage nach einer Übernachtungsmöglichkeit hat ihm ein Dorfbewohner seine Hütte angeboten, in der eigentlich drei Generationen leben, und die Großfamilie anderswo untergebracht. "Er hat das getan, weil seine Kultur ihm das Neinsagen verbietet. Und ich habe die Konsequenzen für ihn nicht bedacht, bevor ich ihn gefragt habe, sagt Springer. "Denn für uns kommt zuerst das Ich, dann der andere".

Diese Erfahrungen sammelt der Maler, Objektkünstler, Autor, Filmemacher und Kurator etlicher Kunstprojekte mit ebenso großer Leidenschaft wie alltägliche Gegenstände im heimischen München, Treibgut an einem Strand in Asien, Vogelfedern in Sambia oder großformatigen Fotos aus Zeitungen und Magazinen. Er sucht nicht bewusst, sagt er: "Vielleicht finden die Dinge mich." Diese Methode kennt man als "Objet trouvé" in der Tradition des Surrealismus. Erfahrungen und Fundstücke werden die geistige und materielle Basis seiner Arbeiten. Er beansprucht für sich "einen Plan im Kopf." Dann sagt er: "Ich lege los, und dann passiert etwas mit mir und meiner Arbeit."

Das ist wohl die empathische Seite seiner Person, wie Springer sie nennt. Die zeigt sich exemplarisch bei der Hängung seiner skulpturalen Arbeiten im Museumsobergeschoss. Dass sie nun Alleen-gleich auf ein Ziel hinführen - wobei sich am Sonntag zeigen wird, auf welches - war so nicht geplant. "Aber der Raum ermöglicht das, fordert das", sagt Springer und schaut zufrieden den sich im leichten Wind wie wohlwollende Schutzfiguren aus fernen Welten wiegenden mystischen Objekten zu.

Die Ausstellung ist ein Zwischenstadium auf dem Weg zu der Faszination von Objekten, die eine neue Dimension erhalten. Wie wird aus einem Suppenteller eine Champions League-Trophäenschüssel? Aus einem Schaffell das Goldene Vlies? Wie also werden aus Alltagsgegenständen Objekte der Verehrung. "Sacramentum" nennt Springer dieses Projekt. Der Titel für die nächste Ausstellung steht schon und verdeutlich die Idee für die aktuelle. Sie passt nach Altomünster und seiner klösterlichen Tradition mit den vielen christlichen sakramentalen Kunstwerken.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2016
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