Süddeutsche Zeitung

Bars in München:"Die Leute lechzen nach Sozialkontakten"

Lesezeit: 3 min

Und die gibt es nun auch wieder bis in die Nacht. Wie Gastronomie und Gäste bereits am Freitag auf die gefallene Corona-Sperrstunde reagieren.

Von Philipp Crone

"Echt?", ruft die junge Frau in die Runde. In der Cordo-Bar an der Klenzestraße sitzen sich vier Schüler und Studenten draußen gegenüber. Es ist kurz nach 21 Uhr am Freitagabend, als Konstantina, 17, davon erfährt, dass Restaurants ab sofort wieder länger geöffnet haben dürfen. Da Bars bislang eigentlich noch geschlossen bleiben müssen, umgehen viele diese Regelung schon länger, indem sie kleine Speisen anbieten. "Es reichen schon Chips", sagt ein Barkeeper. Dementsprechend waren Bars und Restaurants längst geöffnet, nur eben bislang lediglich bis 22 Uhr. Am Freitagnachmittag hatte nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof diese frühe Corona-Sperrstunde gekippt. Jedes Lokal darf ab sofort so lange öffnen, wie es die jeweilige Konzession erlaubt. In der Cordo-Bar wäre das an diesem Freitag zwei Uhr, aber so lange wollen Konstantina und ihre Freunde nicht bleiben. Das ist in manchen anderen Lokalen in der Innenstadt schon am ersten Abend anders.

"Wir bleiben aber so lange draußen wie möglich", sagt Konstantina, also bis 23 Uhr. Es ist längst kühl an diesem Abend, aber man merkt schnell, dass die Temperatur den Ausgängern an diesem Abend nicht so wichtig ist wie das Gefühl, endlich wieder fast richtig weggehen und vor allem auch wegbleiben zu können. Kälte hin oder her. Natürlich hätten sie die bislang geltenden Regelungen verstanden und für richtig befunden, sagt die 17-Jährige. "Aber gerade in unserem Alter, wenn man das so gerne macht, ist es schon blöd, wenn man nicht ausgehen kann", sagt Carlotta auf der anderen Tischseite. Die 18-Jährige studiert Kunst an der LMU. Kellner Momo Malusic kommt an den Tisch. Er sagt: "Wir haben uns heute total gefreut, als die Nachricht kam, das ging in der Szene rum wie ein Lauffeuer." So sieht das auch Niklas, 26, Barkeeper im Frau Bartels ein paar Hausnummern weiter auf der Klenzestraße in Richtung Gärtnerplatz.

"Viele wissen es noch gar nicht", sagt der junge Mann und geht an der Plexiglasscheibe, die den Tresen bis zur Decke abschließt, vorbei bis zum Durchgang. Andererseits sei es heute überraschend voll. Offenbar haben doch einige Münchner die Abendplanung spontan in Ausgehen umgeändert. "Wir sind einfach total happy", sagt Niklas. Die Bar ist aber auch gut besucht, vor allem draußen.

Die Wegbierträger sind im Schlenderschritt beinahe schon wieder in der gleichen Anzahl unterwegs wie vor Corona. Und die Polizei ist wie gewohnt am Gärtnerplatz mit mehreren Einsatzwagen vor Ort. Die Szenerie hier wirkt, als ob alle sehr eingespielt wären. Polizisten beobachten und kümmern sich aber eher um Radfahrer ohne Licht als um zu große Gruppen und Abstandsgebote. Noch immer müsse man den Platz jedes Wochenende räumen, sagt eine Beamtin, wenn es zu viele Menschen würden, aber das gehe eigentlich immer gut, die meisten hätten Verständnis. Es ist kurz nach 22 Uhr, die Gruppen stehen noch relativ verstreut auf den Bürgersteigen und in der Mitte des Platzes.

Henrik Winterfeld, 27, steht neben der Robinson-Bar und raucht. Er arbeitet normalerweise in der Bar, als Türsteher. Er ist mit einem Freund da, der seinen Laden eine Straße weiter hat. Die beiden kennen das Nachtleben am Gärtnerplatz vom fast allabendlichen Ausgehen. "Das war doch in den letzten Wochen neben der Isar gefühlt der einzige Ort, wo man sich treffen konnte." Und was man hier sehr deutlich sehen könne: "Die Leute lechzen nach Sozialkontakten." Die gibt es nun eben auch wieder bis in die Nacht. Auch im Garçon, Bar und Café in der Utzschneiderstraße. Betreiber Mario Messig lässt auch gleich länger geöffnet, aber nur bis Mitternacht. "Mehr will ich den Nachbarn nicht gleich am ersten Abend zumuten." Seine Gäste hätten sich an die Corona-Zeiten gewöhnt. Sie kamen auch heute früh, nicht wie sonst, da trafen sich manche auch erst um 22 Uhr in der Bar. Dafür bleiben sie an diesem Abend. Um 22.45 Uhr schaut ein Gast auf die Uhr, überlegt kurz und bestellt dann noch ein Glas Wein.

Auf den Straßen sind nun kleinere Gruppen unterwegs. Drei Frauen auf der Suche nach einer neuen Bar für weitere Drinks. Es wird viel geschaut, Köpfe drehen sich, blicken hinterher. Das ist dann wohl das Lechzen nach Sozialkontakten, vielleicht auch das Gefühl, dass mit längeren Öffnungszeiten auch das Flirten und Kennenlernen wieder ein Stück näher kommt. Der Gärtnerplatz füllt sich, mit elegant gekleideten Theatergängern nach der Vorstellung, daneben Trainingshosenträger. Also alles fast wie immer.

Zwei Lederjackenmänner betreten die Theaterklause am Gärtnerplatz, wie das frühere "Wolf's Pharmacy" nun wieder heißt, mit Schal vor dem Mund. Das hat für einen Moment etwas von einem Banküberfall im Wilden Westen.

Im Ferdings bestellen derweil vier Frauen im hintersten Eck an der Bar noch je einen Drink. Es gibt was zu feiern. "Ich bin so dankbar, dass die Bars jetzt wieder länger aufhaben", sagt Larissa, 33, "dann wird es am Gärtnerplatz hoffentlich wieder etwas ruhiger." Sie ist Anwohnerin und beklagt "die Verballermannisierung" des Platzes. In erster Linie klagt sie aber nicht an diesem Abend, sondern stößt an, tanzt im Sitzen zur Musik und ruft in die Runde: "Wir bleiben heute auf jeden Fall, bis sie hier zumachen!"

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