Süddeutsche Zeitung

Konzert:Auch Kakteen blühen

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Die Überlebenskünstlerin Billy Nomates hält Zwiegespräche mit der eigenen Depression und stellt im Strom ihr Seelenklempner-Album "Cacti" vor.

Von Claus Lochbihler

Man nehme eine Beleidigung und verwandle sie trotzig in einen Künstlernamen. So wie Tor Maries. Als die Engländerin bei einem Konzert von einem Typen als die arme "Billy ohne Freunde", als "Billy Nomates", beschimpft wurde, weil sie das Konzert allein besuchte, hatte Tor Maries ihren Künstlernamen gefunden.

Auch weil der Name so gut passte: Sie hatte keine Lust mehr auf die Bands anderer, wollte, wenn sie es nochmal mit der Musik versuchte, nur noch ihre Musik und ihre Songs machen. Und sie hatte für sich die Kraft des Nein-Sagens entdeckt, was sie gleich darauf mit wunderbar zornigem, sarkastisch-witzigem Post-Punk auf ihrem gleichnamigen Debüt (2020) feierte: "No is the greatest resistance / No to your nothing existence". Außerdem war sie nach dem Crash einer totalen Lebenskrise so allein und am Ende, wie man nur allein sein kann: Billy Nomates eben.

Tor Maries alias Billy Nomates, die stimmlich manchmal sehr cool an Chrissie Hynde erinnert, und von Iggy Pop, aber auch den Sleaford Mods verehrt und gefördert wird, ist eine Künstlerin des Überlebens. Ging es auf ihrem ersten Album noch um eine Abrechnung mit den beschissenen Jobs der Gig-Economy und mit Hipstern, die Öko-Lifestyle nur als soziales Distinktionsmerkmal und zur Gewissensberuhigung zelebrieren ("Hippy Elite"), wendet sich Nomates auf "Cacti" (Invada) ihrer Seelen- und Innenwelt zu. Als "stabile Seitenlage für unsere geschundenen Seelen" und "jeder Song ein kleiner Panikraum" - so nahm die Kritik dieses zweite Album auf.

Ins Studio nahm sie ihre Seelenpflanze mit: einen Kaktus

Nomates klingt auf ihrem Seelenklempner-Album poppiger und abwechslungsreicher als auf ihrem Debüt, aber auch zarter und manchmal gefälliger - die ansteckende, aufschäumende Wut ihres Debüts klingt 1:1 so nur auf "spite" an. Viele der Songs wirken wie Monologe - die man mit sich selbst führt oder einem Partner. In "blue bones (deathwish)" unterhält sie sich mit ihrer Depression - oder die Depression mit ihr? - wie mit einem Typen, von dem man nicht loskommt. Auf "fawner" klingt die Tochter eines alleinerziehenden Musiker-Vaters, die einen Teil ihrer Kindheit auf den Shetland Islands verbrachte, plötzlich folky. Auf "roundabout sadness" hüllt sie ihre Worte in den Klang einer Orgel. Und immer wieder Textzeilen, die mit lapidaren Pointen aufhorchen lassen: "I don't make friends so fast /You know the right words to say / In the right order/ I put my foot in my mouth"

Dass ihr zweites Album "Cacti" heißen würde, wusste Billy Nomates, bevor sie überhaupt den ersten Song aufgenommen hatte. Sie nahm sich sogar einen Kaktus - als ihre Seelenpflanze - mit ins Studio von Geoff Barrow von Portishead. Als tägliche Erinnerung daran, dass Kakteen, diese Überlebenskünstler der Natur, auch unter den widrigsten Bedingungen gedeihen, ja sogar blühen.

Live ist Tor Maries übrigens auch eine Billy Nomates: Sie tritt solo, nur mit Laptop und Gitarre, ganz ohne Band-Mates auf, was auch der Ökonomie des Tourens unter den Bedingungen des Brexit und nach der Pandemie geschuldet ist. Dafür tanzt Billy Nomates - chicer Hosenazug, barfuss, blonde Vokuhila-Frisur - wilder als eine ganze Band.

Billy Nomates, Mi., 29. 3., Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr, Strom, Lindwurmstraße 88, Karten unter www.strom-muc.de

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