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Staatsbürgerschaft:"Der deutsche Pass ist für das Reisen Gold wert"

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Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb in München allein in diesem Jahr 5200 Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt haben.

Von Thomas Jordan

Auch ohne das Brexit-Referendum im Juni 2016 wäre der Brite Martin Reddington Deutscher geworden. Allerdings nicht so schnell. Der 70-jährige Neurowissenschaftler, der lange am Max-Planck-Institut für Psychiatrie gearbeitet hat, kam 1975 zum ersten Mal für eine Arbeitsstelle nach München. Heute ist die bayerische Landeshauptstadt für ihn, der sich als "tiefenintegriert" bezeichnet, sein Zuhause. Hier lebt er mit Unterbrechungen seit 27 Jahren. "Ich hatte mich schon länger über die antieuropäische Stimmung in Großbritannien geärgert", sagt der promovierte Biochemiker. "Als dann klar war, dass das Referendum kommt, wusste ich, jetzt ist es höchste Zeit, deutscher Staatsbürger zu werden."

Gut möglich, dass auch für die übrigen 383 Briten, die bis November diesen Jahres beim Kreisverwaltungsreferat einen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft gestellt haben, das Votum eine zusätzliche Entscheidungshilfe war. Hat sich doch die Zahl der Einbürgerungsanträge britischer Staatsbürger in München im Frühjahr 2017 gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr als verfünffacht. Die Bürger des Vereinigten Königreichs kommen damit zum ersten Mal auf Platz zwei in der Münchner Statistik der Herkunftsländer von Einbürgerungsanträgen. Sie werden nur noch von den Türken übertroffen, die mit bisher 414 Anträgen in diesem Jahr die größte Einzelgruppe der insgesamt 5200 Einbürgerungsanträge in München stellen.

Grenzenloser Austausch

Particia East, 66 Jahre alt:

Die emeritierte Hochschulprofessorin Patricia East stammt aus einer englischen Diplomatenfamilie. Von Anfang an war sie es gewohnt, mit ihren Eltern um die Welt zu reisen. Geboren wurde sie im kanadischen Ottawa. Bis sie zehn Jahre alt war, lebte sie im heutigen Sri Lanka. In England, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzt, hat sie nur neun Jahre verbracht. 1972 kam sie zum ersten Mal für ihr Fremdsprachen-Studium nach München, von 1974 an arbeitete sie hier als Englischlehrerin. Die Landeshauptstadt wurde zum Zuhause der 66-jährigen Kosmopolitin, hier lebte sie mit ihrem kürzlich verstorbenen Ehemann. Das britische Brexit-Votum hat sie geärgert. "Ich bin eine große Freundin von grenzenlosem Austausch zwischen den Ländern", sagt sie. Seit dem Brexit bemühen sich nun auch ihre Verwandten in England darum, eine EU-Staatsbürgerschaft zu erhalten. "Meine Geschwister versuchen, über irische Vorfahren eine irische Staatsbürgerschaft zu bekommen, um in der EU bleiben zu dürfen. Für uns hat das einen emotionalen Hintergrund, Europäer zu sein."

Menschenrechte

Sinem Redzheb, 37 Jahre alt:

Neun Jahre lebte Sinem Redzheb mit ihrem Mann in München, vor kurzem sind die beiden aus der Stadt raus gezogen. Ursprünglich kamen die Psychologen aus der Türkei hierher, weil Redzhebs Mann noch ein Mathe-Studium an der Technischen Universität München draufsetzen wollte. Als die Kinder geboren wurden und Sinem Redzheb eine gute Arbeitsstelle bekam, entschied sich die Familie zu bleiben. Am Wichtigsten ist der 37-Jährigen, dass sie nun volle bürgerliche Rechte in Deutschland besitzt. "Ich fühle mich jetzt anerkannt", sagt die Psychologin, die seit 2011 beim deutschen Kinderschutzbund arbeitet. Als Leiterin eines Projektes, bei dem es darum geht, deutschen, türkischen und russischen Eltern Unterstützung bei der gewaltfreien Erziehung ihrer Kinder zu geben, hat sie es oft mit schwierigen Familiensituationen zu tun. "Ich kann ein gutes Vorbild für meine türkischen Leute sein", sagt sie. Deshalb versuche sie auch, jeden Tag ihr Deutsch zu verbessern. Deutschland, das bedeutet für Sinem Redzheb "Menschenrechte, Demokratie und Respekt".

Politische Mitsprache

Hugo de las Heras Gala, 37 Jahre alt:

Als Jugendlicher fing Hugo de las Heras Gala in Spanien an, Deutsch zu lernen. Und seitdem ist er ein bekennender Fan der deutschen Sprache und Kultur. Nach der Universität wollte er einmal selbst das Land besuchen, dessen Dichter er so liebte. "Ich wollte unbedingt in der Muttersprache Hermann Hesse lesen können", sagt der 37-Jährige. Seit 2005 lebt er fast durchgängig in München. Hier arbeitet er am Helmholtz-Forschungszentrum und spielt nebenbei in der interkulturellen Theatertruppe "Subversum" mit. An Deutschland gefällt ihm die Mentalität der Menschen: "Die Leute sind nicht so interessiert, dass ihr Leben nach außen wirkt. Sie sind mehr nach innen eingestellt." Bei der Einbürgerung am wichtigsten war dem Physiker, dass er sich nun politisch voll beteiligen kann. "Bei Demonstrationen durfte ich manchmal unterschreiben, aber die Unterschrift hat den Organisationen nicht geholfen, weil ich kein Deutscher war." Das ist jetzt anders. Bei der Bundestagswahl im September hat Hugo de las Heras Gala zum ersten Mal abgestimmt.

Spricht man mit türkischstämmigen deutschen Staatsbürgern, so spielt die aktuelle politische Situation in der Türkei eine wichtige Rolle für diesen Einbürgerungswillen. Das Phänomen ist bekannt, immer wieder führen politische Ereignisse zu einem sprunghaften Anstieg der Einbürgerungsanträge. Vor dem Brexit habe etwa im Jahr 2013 der Beitritt Kroatiens zur EU dafür gesorgt, dass auf einmal eine große Anzahl von Kroaten die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt habe, heißt es vom KVR.

Laut der Behörde erklärt sich die hohe Zahl türkischer Eingebürgerter allerdings vor allem über deren immer bessere Integration. Türkische Staatsangehörige machten schließlich den größten Anteil der Ausländer in München aus und immer mehr von ihnen erfüllten seit einigen Jahren die Voraussetzungen für die Einbürgerung. "Die wachsen da immer mehr rein", sagt Franz Hetzenegger, und der 58-Jährige muss es wissen. Im KVR leitet der Verwaltungsrat die gut 40-köpfige Unterabteilung "Einbürgerung."

Mindestens drei Mal sehen er oder seine Sachbearbeiter die Bewerber um die Staatsbürgerschaft. Beim Erst-Beratungsgespräch wird geklärt, ob wichtige Voraussetzungen für die Einbürgerung vorliegen. Ob die Bewerber etwa ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können, ob sie über ausreichende Deutsch-Sprachkenntnisse verfügen und wie lange sie bereits in Deutschland leben. In dem Moment, in dem sie den Antrag auf Einbürgerung stellen, legen sie dann auch gleich ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ab, und am Ende können sich die neuen deutschen Staatsbürger ihre Urkunden im KVR abholen.

Eigentlich sollte das alles innerhalb von sechs Monaten über die Bühne gehen. Das klappt aber nicht immer. "Nachdem sich das Verfahren manchmal über mehrere Jahre hinzieht, kriegt man dann schon einen Bezug zu dem Kunden", sagt Hetzenegger. Und so bekommt er auch immer wieder die emotionalen Auf und Abs mit, die mit der Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft verbunden sind. Eine Russin etwa habe monatelang mit sich gerungen, ob sie Deutsche werden wollte, schließlich bedeutete das zugleich den Verlust ihrer russischen Staatsbürgerschaft.

"Lebenshelfer wäre wahrscheinlich übertrieben", beschreibt Hetzenegger seine Arbeit. Aber kleine Hilfestellungen im Behördendschungel, die gibt er schon: Wo der Rentenversicherungsausweis zu beantragen ist oder wo Einbürgerungstests gemacht werden können. Trotzdem werden von den 5200 Antragstellern in 2017 längst nicht alle die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Das KVR rechnet mit 3900 Einbürgerungen, das sind gut 400 mehr als 2016. Wenn es Verzögerungen gibt, dann liegt das oft an fehlenden Sprachkenntnissen - Deutsch zu lernen sei vor allem für ältere Menschen schwierig, sagt Hetzenegger.

Manchmal aber verzögert sich die Entlassung aus der ursprünglichen Staatsbürgerschaft, wie sie bei Nicht-EU-Bürgern nötig ist. So wie bei Sinan Saibou. Der 26-Jährige kam zwar schon als Einjähriger mit seinen Eltern nach München, weil er aber in Togo geboren wurde, hatte er bis zu diesem Jahr nur eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Seit dem Jahr 2013 versuchte er, aus der togolesischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, jetzt endlich hat es geklappt. Und worüber sich der 26-Jährige, der für einen Sportartikelhersteller weltweit Marketing macht, am meisten freut, das ist laut Hetzenegger für viele neue Deutsche wichtig: "Dass ich jetzt den deutschen Pass habe, ist für das Reisen Gold wert."

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Quelle:
SZ vom 27.12.2017
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