Süddeutsche Zeitung

Bedrohtes Isartal:Unterm Rad

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Anlauf, München

Die Zeit der Erholung war für die Natur nur kurz. Auch im Winter haben sich viele Münchner aufs Rad gesetzt und sind rausgefahren. Darunter viele Mountainbiker, die besonders das Isartal als Trainingsstrecke nutzen - abseits der Forstwege. Nun im Frühling bietet sich zwischen Marienklause und Schäftlarn streckenweise ein Bild, das an eine schlammige Kiesgrube erinnert: Kreuz und quer ziehen sich matschige Pfade durch den Auwald, der Isarhang bröckelt. Nicht nur Naturschützer sind entsetzt, was achtlose Mountainbiker mit dem fragilen Landschaftsschutzgebiet anstellen. Auch Vertreter von Sportverbänden wollen dem wilden Treiben nun Einhalt gebieten.

"Wirklich sehr viele in einem Boot"

Es ist eine ungewöhnlich breite Allianz, die sich vor genau einem Jahr gebildet hat. Insgesamt 50 Kommunen und Verbände, Grundstücksbesitzer und Vereine haben sich zusammengetan, um in einem auf zunächst drei Jahre angelegten Projekt das bedrohte Isartal zu retten. "Es sitzen wirklich sehr viele in einem Boot", sagt Florian Lintzmeyer. Der Geograf arbeitet beim Münchner Institut für Umweltplanung und Raumentwicklung Ifuplan und koordiniert im Auftrag der Stadt und des Landkreises München ein bislang einzigartiges Projekt: "NaturErholung Isartal" soll Naturschutz und Freizeitaktivitäten im Isartal zwischen dem Tierpark Hellabrunn und dem Kloster Schäftlarn unter einen Hut bringen.

Denn in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Menschen, die das Isartal als Erholungs- oder Sportgelände entdeckt haben, enorm gestiegen. Nachdem das Landschaftsschutzgebiet 2004 als europäisches Flora-Fauna-Habitat (FFH) und somit als streng geschütztes Gebiet ausgewiesen worden war, gründete sich 2010 ein Arbeitskreis zum Schutz des Isartals. Zwei Jahre später verfasste ein Bündnis aus Stadt, Landkreis, Umweltverbänden und Radsportvereinen eine Resolution, die an Erholungssuchende und Sportler appelliert, die Natur zu schonen. Zur gleichen Zeit wurde ein Gutachten erarbeitet, in dem alle Wege kartiert wurden - auch die durch Wanderer, Jogger und Radfahrer entstandenen Schneisen.

Totales Fahrverbot bringt nichts

Auf dieser Grundlage haben die Mitarbeiter von Ifuplan in den vergangenen zwölf Monaten ein vorläufiges Konzept erstellt, wie das Isartal auf den 18 Kilometern zwischen Marienklausenbrücke und Schäftlarn besser geschützt und trotzdem von Menschen besucht werden kann. "Schon in den nächsten Wochen soll ein erster Vorschlag auf dem Tisch liegen", sagt Michael Wagner vom Landratsamt München.

In den vergangenen Monaten hatten Vertreter von Mountainbike-Verbänden, darunter auch die MTB-Abteilung des Deutschen Alpenvereins (DAV), Vorschläge gemacht, wo Mountainbiker künftig auf angelegten Routen fahren könnten. Alle Beteiligten sind sich nämlich mittlerweile darin einig, dass ein totales Fahrverbot für Radler im Isartal gar nichts bringen würde, weil sich kaum einer daran hielte.

"Wenn Sie das Isartal für Biker dicht machen, werden Sie mit Ignoranz bestraft", warnt deshalb Matthias Laar, Mountainbike-Lehrer im DAV. Die einzige realistische Lösung, die Querfeldein-Fahrer zur Vernunft zu bringen, sei, "so einen attraktiven Weg auszuweisen, dass alle damit zufrieden sind". Gleichzeitig müssten die wilden Trails im Isartal mit Büschen oder Felsen so blockiert werden, dass sie nicht mehr befahren werden können. Zugleich müsste eine Ausweichroute für Mountainbiker geschaffen werden - etwa durch den Perlacher Forst.

So gut wie nirgends in Europa erlaubt

"Dass wir Biker aber massive Einschnitte hinnehmen müssen, ist aus meiner Sicht klar", sagt Laar. Der Mountainbikelehrer bringt seinen Schülern seit Jahren bei, auf den zugelassenen Wegen zu bleiben, keine Bremsspuren zu hinterlassen und nicht bei Nacht durch den Wald zu fahren, um die Tiere zu schonen. Bei vielen Mountainbikern, die nicht in Fahrradverbänden organisiert sind, sei "das Schadensbewusstsein oft überhaupt nicht da", sagt Laar. Viele wüssten überhaupt nicht, dass Offroad-Fahren so gut wie nirgends in Europa erlaubt sei. Sein Ziel ist es deshalb, so viele Mountainbiker wie möglich zu erreichen.

Auch das ist Aufgabe von Ifuplan. Seit einigen Monaten organisiert das Umweltinstitut Vorträge zum Thema, es sind spezielle Schulungen für Mountainbiker geplant. "Eventuell werden wir in Radlergeschäften und Wirtshäusern im Isartal Flyer auslegen", sagt Florian Lintzmeyer. Denn über die Fahrradverbände erreiche man "nur die Willigen". Der oder die legalen Radwege durchs Isartal sollen zudem mit Schildern versehen werden, derzeit entwerfen die Mitarbeiter von Ifuplan entsprechende Informationstafeln.

Gestresste Tiere

Der breite Konsens von Fahrradverbänden und Umweltschutzorganisatoren ist gar nicht so überraschend. Denn die Mountainbiker befürchten einerseits, dass das Isartal schlimmstenfalls komplett für Radler gesperrt werden könnte, zum anderen erhoffen sie sich, dass zwischen München und Schäftlarn ein legaler, attraktiver Trail entstehen wird. Zugleich ist allen Beteiligten klar, dass das Isartal besser geschützt werden muss.

"Durch eine intensive Freizeitnutzung werden die Hänge durch Trails zerschnitten, dadurch werden auch die Lebensräume für Tiere zerschnitten", sagt Katharina Spannraft vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) in München. "Die Tiere sind gestresst und unter Druck. Auch die Flora ist betroffen: Standorte geschützter Pflanzen werden zerstört. Durch den offenen Boden nimmt die Erosion zu, dadurch gehen zusätzliche Wuchsorte verloren", sagt die Leiterin des Projekts "Biotoppflege" beim LBV.

Auch seltene und gefährdete Pflanzen wie wilde Orchideenarten kommen manchmal unter die Räder, wie Naturschützer festgestellt haben. Verteufeln will Spannraft die Mountainbiker im Isartal nicht. "Es kommt beim Mountainbiken ganz klar auf die Dosis an. Wenn ab und an ein Radler vorbeikommt, dann ist das für viele Tiere tolerabel", sagt sie. Allerdings werden an schönen Tagen 60 Radler und mehr pro Stunde gezählt. Für viele Waldbewohner ist das offenbar zu viel Trubel: Die im Isartal beheimatete Waldschnepfe ist von Umweltschützern in den vergangenen Wintern nicht mehr gesehen worden.

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Quelle:
SZ vom 04.04.2015
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