Süddeutsche Zeitung

Deutscher Alpenverein:"Die Berge sollen zugänglich für alle sein"

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Matthias Ballweg ist der neue Chef der Sektion Oberland. Sein Problem: Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen. Doch der promovierte Betriebswirt hat einige Ideen.

Von Eva Klotz

Matthias Ballweg hat ein Problem. Die Berge sind ein Ort der Ruhe, schön anzusehen, als Lebensraum ökologisch wichtig. Doch drängen immer mehr Menschen dorthin, Skigebiete werden erweitert, Schneekanonen in die Wiesen gepflanzt, Hotelburgen gebaut. Im Deutschen Alpenverein (DAV) prallen diese Gegensätze aufeinander. Unter dem Hashtag "Unsere Alpen" sollten Mitglieder ihre schönsten Fotos der Alpen veröffentlichen und so Aufmerksamkeit auf schützenswerte Orte in den Bergen lenken. Doch neben der Naturidylle dokumentierten sie viele Zerstörungen. Das wirft Widersprüche auf. Wie passen Nutzen und Schützen zusammen?

Der Mann, der diese Gegensätze anpacken soll, sitzt an einem sonnigen Nachmittag auf der Dachterrasse des Kletterzentrums in Thalkirchen, hinter ihm ist die Outdoor-Wand gut besucht. Matthias Ballweg trägt Cap mit DAV-Edelweiß-Stickerei und Lederhose. Trüge er die nicht, könnte man ihn mit seiner sportlichen Statur für einen normalen Besucher halten. Doch er steht mit 33 Jahren an der Spitze der Sektion Oberland des DAV, zusammen mit München die größte im Verein. Der ganze Vorstand hat sich verjüngt, und Ballweg steht für Veränderung.

Die Berge sollen zugänglich für alle sein, sagt er. Überlaufene Wege schließen für Nicht-Professionelle, das lehnt er ab. Es wolle nicht in "gute" und "schlechte" Bergsteiger einteilen und so Ältere oder Schwächere ausgrenzen. Die Isartrails für Mountainbikes hinter dem Tierpark würden Naturfreunde zum Schutz der Tiere und Pflanzen am liebsten schließen. Ballweg hält wenig von Verboten, die ohnehin oft nicht beachtet würden. Er will lieber weniger sensible Wege attraktiver machen und so Mountainbiker aus schützenswerten Bereichen weglocken. "Nudging" nennt er das, nach einem Prinzip aus der Ökonomie: Verhalten nicht durch Verbote, sondern neue Möglichkeiten beeinflussen. Der Mann ist promovierter Betriebswirt.

In seine Position beim DAV ist er hineingewachsen. Er ist gebürtiger Münchner, besuchte in Ottobrunn die Schule. Und schon damals ging es für ihn nicht in den Fußballverein und auf den Sportplatz, sondern in die Berge und zum Alpenverein. Er begeisterte sich fürs Klettern, Skifahren, Kajakfahren, fast jedes Wochenende war er unterwegs. Er war Teil einer sehr aktiven Jugendgruppe, mit 16 Jugendleiter, mit 20 Referent. Jugendreferenten sind beim DAV auch immer Teil des Vorstands. Plötzlich saß er also in Sitzungen mit dem Gesamtvorstand des DAV, "da kannst du dann bei Millionenprojekten mitreden, das war schon spannend".

Mit 23 schloss er sein Studium ab und wurde Berater bei McKinsey. Vieles ausprobieren, an großen Fragestellungen in Unternehmen arbeiten, um die Welt reisen, das reizte ihn. "Es gab ein Jahr, da war ich nur außerhalb Europas unterwegs." Sein Ehrenamt im DAV ließ er ruhen in dieser Zeit. Wenn er etwas mache, dann richtig. Höher, schneller, weiter - das heißt in seinen Worten eher "spannend", "neu", "herausfordernd". Im Urlaub ging er auf Skitour in Patagonien, Klettern in Thailand.

Dann nahm er sich eine Auszeit, um zu promovieren. Das Thema der Arbeit: verschiedene "Alphatier-Typen" und ihr Verhalten in Vorstandssitzungen. Um das zu untersuchen, hängte er - mit Wissen der Beteiligten - Kameras in den Räumen echter Sitzungen auf und hielt fest, wie manche der Anwesenden die Gespräche dominierten. "Jetzt kann ich kaum in Meetings sitzen, ohne dieses Wissen im Kopf zu haben und ein bisschen zu beobachten", sagt er und lacht. Kürzlich habe er beobachtet, wie jemand einfach in die Unterlagen einer anderen Person griff, "ein klares Statussignal". Manchmal bringe er solche Dinge zur Sprache. Und er lernt daraus für sich selbst. "Ich achte jetzt noch mehr darauf, wie ich mich verhalte, weil ich weiß, was welche Wirkung hat." Selbst würde er sich nicht als Alphatier bezeichnen - ein Gespräch voranbringen, das kann er aber.

Nicht alles will er anders machen im DAV, eines aber ganz bestimmt: Die digitalen Möglichkeiten mehr nutzen. Mitglieder sollen sich nicht nur analog, sondern auch digital besser vernetzen können. Bergtouren würden weniger in der DAV-Bibliothek und mehr im Internet geplant, auch dort könnte der Verein noch aktiver Touren empfehlen. Und er will politisch lauter werden. "Wir haben nullkommanull Einfluss in der Stadt, obwohl wir einer der größten Sportvereine der Welt sind." Das ärgert ihn. Der DAV soll ein Verein für alle bleiben, sagt er, unabhängig von ihren Voraussetzungen und Fähigkeiten.

Und das Thema Umweltschutz, auf das er jetzt immer öfter angesprochen wird? Er richtet sich noch etwas gerader auf und sagt ganz diplomatisch: "Mir ist es ein tiefes Anliegen, dass wir als DAV für Umweltschutz stehen. Trotzdem werbe ich für eine differenzierte Sichtweise. Natürlich stehen wir auch für die Nutzung der Berge."

Das sind sie wieder, die Gegensätze. Wie ein Mittelweg zwischen den extremen Positionen, die sich im DAV finden, aussehen könnte, lässt er offen. Aber eine Anekdote erzählt Ballweg dazu gerne. Am Wilden Kaiser stand vor einigen Jahren eine idyllische Selbstversorgeralm, die der DAV von der Gemeinde pachtete. Bis der Vertrag nicht mehr verlängert wurde, weil ein großes Freizeitcenter auf dem Grundstück entstehen sollte, geplant von einem jungen Unternehmer. Der DAV musste die Hütte schweren Herzens abgeben. Schon im nächsten Sommer rollten die Bagger an und ließen die Hütte verschwinden. Dann, in einem der darauffolgenden Winter, der Komplex war schon fast fertig, ging die größte Lawine seit 100 Jahren im Tal ab. Und räumte die riesige Erlebnis-Alm bis auf die Grundmauern ab. "Der liebe Gott ist wohl Mitglied der Sektion Oberland", sagt Ballweg und feixt.

Seit mehr als 20 Jahren ist er im Verein. Über diese Zeit sind viele Erlebnisse mit dem DAV verbunden. "Ich werde immer nostalgisch, wenn ich an Abende auf der Blankensteinhütte denke". Auf dieser kleinen Selbstversorgerhütte zwischen Tegernsee und Schliersee war er oft mit den Jugendgruppen. Tagsüber kletterten sie, abends haben sie auf dem großen gusseisernen Ofen gemeinsam gekocht, sich Kissenschlachten im Schlaflager geliefert, bis die Daunenkissen platzten. "Solche Geschichten schweißen zusammen." Und auch seine Frau hat Ballweg im Verein kennengelernt.

Es waren nicht zuletzt die Berge, die ihn zurück in die Heimat, nach München und zum DAV führten. Beruflich ging er zu MAN, in die Strategieabteilung. Dort beschäftigt er sich mit Digitalisierungsprozessen. Sein Beruf und sein Ehrenamt sind zwei getrennte Welten, "das ist gut für den Kopf", sagt er.

Sein Herzensprojekt ist die Modernisierung der Kletterhalle in Thalkirchen, für die Vorbehalte seitens der Stadt München ausgeräumt werden müssen. Man kennt ihn dort - weniger in seiner Rolle als Vorsitzender, sondern eher als Besucher. Und weil er mit seiner Familie fast gegenüber wohnt, kommen die beiden Kinder zum Spielen hierhin, und die Familie geht zum Italiener unten im Gebäude.

Und was bedeuten ihm die Berge? "Die Berge zwingen dich, im Hier und Jetzt zu sein", sagt er, "es geht dann nur um den nächsten Zug, den nächsten Paddelschlag." Während man an einer Felswand hängt oder im Kajak den Fluss hinunterfährt, gibt es keine Gedanken an das nächste Meeting. "Man kommt in einen ganz eigenen Rhythmus, und das auch noch vor einer Kulisse, die demütig macht."

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Quelle:
SZ vom 04.10.2019
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