Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Moosach:Die rote Hochburg bröckelt

Lesezeit: 4 min

Vor zwölf Jahren absolute Mehrheit, vor sechs Jahren immerhin noch stärkste Fraktion: Wie die SPD bei der Bezirksausschuss-Wahl 2020 hier abschneidet, dürfte von größtem Interesse sein - weit über den 10. Stadtbezirk hinaus

Von Anita Naujokat

Im Münchner Norden, dem Stammland der SPD, werden die Karten neu gemischt. In der roten Hochburg Moosach ist aus einem einst kraftvollen Mitstreiter plötzlich ein Gegner geworden. Alexander Reissl, bis vor Kurzem noch führend bei den Moosacher Sozialdemokraten, kandidiert am 15. März 2020 gleichermaßen für den Bezirksausschuss (BA) wie für den Stadtrat, allerdings auf der CSU-Liste. Ende September hatte er nach elf Jahren als Fraktionschef der Rathaus-SPD und knapp ein halbes Jahr vor der Kommunalwahl sein Parteibuch zurückgegeben. Er sitzt nun im Rathaus auf der CSU-Bank - bislang als Parteiloser. Ob das nun der CSU oder der SPD schaden oder nützen wird, das bleibt die Frage.

Erkennbar aber bröselt die rote Hochburg unter den 25 Münchner Stadtbezirken. Mit 42,6 Prozent der Wählerstimmen hatte die SPD in Moosach bei der Bezirksausschusswahl 2014 zwar noch das stadtweit beste Ergebnis eingefahren. Doch es hatte schon einmal besser ausgesehen. 2008 hatten die Genossen noch die absolute Mehrheit errungen. Die politische Großwetterlage könnte ein weiteres Mal auch auf die Lokalpolitik abfärben - die Bundes-SPD am Boden, die Grünen erstarkt. Letztere treten nach ihrer Listenverbindung mit der ÖDP, die zuletzt mangels Nachrückern sogar vier ÖDP-Mitglieder ins Gremium gebracht hatte, in Moosach erstmals wieder mit einer eigenen Liste an. Die ÖDP wiederum ist nunmehr eine Listenverbindung mit den Freien Wählern eingegangen. Ungewiss ist noch, ob im Stadtbezirk mit der Nummer 10 auch die Linke und die AfD antreten werden.

Und dann könnte auch noch Alexander Reissl in den Bezirksausschuss, den er von 1984 bis 1996 als SPD-Mitglied geleitet hatte, sozusagen in anderem Gewand zurückkehren. Auch wenn er, wie zuvor bei der SPD, nur auf dem letzten Platz 25 steht. Für manchen Genossen mag sich das seltsam anfühlen. Denn Reissl, aufgewachsen in Moosach, war schon mit 16 Jahren in die SPD eingetreten. Mit 20 wurde er in den Bezirksausschuss gewählt, mit 26 Jahren übernahm er dort den Vorsitz. Mit 38 wurde er Stadtrat, nun ist er 61 Jahre alt und wagt den Neustart. Reissls Entscheidung vor wenigen Monaten kam auch für die Moosacher Genossen völlig überraschend. Für den jetzigen Vorsitzenden des Bezirksausschusses und Listenführer für die kommende Wahl, Wolfgang Kuhn, "ist die SPD die SPD - mit oder ohne Reissl", wie er sagt. "Es war eine persönliche Entscheidung, an der wir nichts ändern können." Die SPD habe ganz andere Probleme, struktureller Art, die von weit oben kämen. Inwieweit Reissl als Person eine Rolle spiele, sei schwer zu sagen. Man könne sich um noch so viel Nähe zu den Menschen im Viertel bemühen: Letztlich seien die ortsansässigen Bewerber höchstens 25 Prozent der Wähler überhaupt bekannt. Kuhn jedenfalls sieht sich "in freudiger Erwartung der Wahl". Die SPD habe eine Menge neuer Leute, die für die Partei arbeiten wollten, ein Umbruch sei durchaus festzustellen.

Von einer Zeit der Neufindung spricht auch Julia Schönfeld-Knor. Als Vorsitzende des Moosacher Ortsvereins führt sie die SPD an, als amtierende Stadträtin trifft sie im Rathaus-Alltag zwangsläufig auf den ehemaligen Parteifreund. "Man muss die Entscheidung respektieren, aber man muss sie nicht verstehen", sagt sie. Nicht mehr antreten wird nach 24 Jahren im Gremium, darunter 22 Jahren als SPD-Sprecherin, Hannelore Schrimpf. Dafür wirft überraschend Johanna Salzhuber wieder ihren Hut in den Ring. Nach ihrem Rücktritt als BA-Vorsitzende Anfang 2018 hatte sie eigentlich nur noch die Amtsperiode beenden wollen. Es gelte, alle Kräfte zu bündeln, sagt sie nun aber, die von Reissls Schritt noch nicht einmal etwas geahnt hat. Salzhuber, die Reissl 1996 als BA-Vorsitzende nachgefolgt war, rechnet mit negativen Auswirkungen für die SPD. Reissl sei im Stadtbezirk sehr bekannt, habe viele Fans, und seine Kritiker hätten ihn ohnehin nicht gewählt.

Für den politischen Gegner können die Verwerfungen bei den Genossen jedenfalls Ansporn und Chance zugleich sein. Florian Wies, Sprecher der CSU-Fraktion, hält die kommende BA-Wahl gleichwohl für außerordentlich schwierig einzuschätzen. Er geht aber selbstbewusst davon aus, dass die CSU diesmal die stärkste Fraktion stellen werde. Doch diesen Anspruch hatte die Fraktion schon bei der Wahl vor sechs Jahren erfüllen wollen, als der CSU-Ortschef Alexander Dietrich nicht nur die Stadt, sondern auch Moosach reif für einen Wechsel sah. Mit ihm erneut an der Spitze setzt die CSU ein starkes Zeichen der Entschlossenheit. Wäre der berufsmäßige Stadtrat sowie Personal- und Organisationsreferent der Landeshauptstadt diesmal nicht mehr an der politischen Basis angetreten, hätte man auch nicht überrascht sein dürfen.

Die ÖDP fand sich mit ihren vier Mandaten in den vergangenen sechs Jahren in der komfortablen Situation als unerwartet starkes Zünglein an der Waage. Stimmt sie mit der CSU, hat derzeit die SPD trotz ihres Status' als stärkste Fraktion keine Chance. Diesem Gestaltungsanspruch könnte aber der Antritt der womöglich wiedererstarkenden Grünen künftig einen Strich durch die Rechnung machen. Ob sich die Freien Wähler, nunmehr in einer Listenverbindung mit der ÖDP, in Moosach durchsetzen werden, dürfte fraglich sein. Die FDP hat sich bisher zwar hartnäckig gehalten, mit einem von 25 Sitzen aber zuletzt eher eine untergeordnete Rolle gespielt.

Ob Alexander Reissl das Mandat annimmt, sollten die Wähler ihn tatsächlich nach vorne häufeln, könne er noch nicht beantworten, sagt er vorsichtig. Das hänge davon ab, wie die Stadtrats- und die Bezirksausschusswahl ausgingen. Er ist jedenfalls einer der wenigen, die eine Prognose wagen: Die SPD werde nicht gewinnen, sagt er. Die Entscheidung in Moosach werde - knapp - zwischen CSU und Grünen fallen. Mit dem Viertel jedenfalls habe sein Parteiaustritt nichts zu tun. Im Gegenteil: Den Ortsverein zu verlassen, sei für ihn die schwerste Hürde gewesen, sagt Reissl.

Die Spitzenkandidaten (soweit bekannt): SPD: 1. Wolfgang Kuhn, 2. Nina Kraus, 3. Riad El Sabbagh. CSU: 1. Alexander Dietrich, 2. Angelika Bueb, 3. Bernhard Hölbling. FDP: 1. Axel Stoßno, 2. Maik Drechsel, 3. Georgios Tzanis. Grüne: 1. Ursula Harper, 2. René Hanschke, 3. Kerstin Knuth. FW/ÖDP: 1.-3. Jörg Breyer.

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SZ vom 03.01.2020
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