Süddeutsche Zeitung

Auszubildende:Viele Betriebe ohne Bewerber - viele Flüchtlinge ohne Ausbildungsplatz

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Von Melanie Staudinger, München

Keinen einzigen Tag hat Ousman in der Schule gefehlt. Er hat innerhalb von nur drei Jahren Deutsch gelernt, seinen Mittelschulabschluss gemacht und verschiedene Praktika absolviert. Doch nun steht der 20-Jährige vor einer ungewissen Zukunft: Gemüsegärtner würde er gerne werden oder Paketbote - aber bisher wollte ihn keine Firma als Auszubildenden einstellen.

"Alle haben gesagt, sie sind schon voll. Es ist sehr schwierig für mich", sagt Ousman. Probleme macht vor allem sein unsicherer Status. Der junge Mann stammt aus Gambia, einem sogenannten sicheren Herkunftsland in Westafrika. Unternehmer trauen sich oft nicht, Leute wie Ousman einzustellen. Sie fürchten, ihre Mitarbeiter könnten abgeschoben werden, bevor die Lehre zu Ende ist.

"Sie verlassen sich nicht auf die sogenannte 3-plus-2-Regelung", sagt Laura Eckmann. Die Sozialpädagogin arbeitet hauptamtlich in der Flüchtlingshilfe und begleitet Jugendliche und junge Erwachsene während ihrer ersten Jahre in München. Die Politik hat eigentlich zugesagt, dass Asylsuchende während ihrer Ausbildung und den zwei Jahren danach sicher in Deutschland bleiben dürfen. Das soll Arbeitgebern Sicherheit geben. Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer (IHK) haben stets dafür geworben, Firmen mögen Geflüchteten doch eine Chance geben. Doch die Unternehmen stoßen in der Praxis an Grenzen. Rechtliche Hürden erschweren Einstellungen zusätzlich.

Tatsächlich aber werden Lehrlinge dringend gebraucht, wie aus der aktuellen Statistik der Agentur für Arbeit hervorgeht. Demnach sind Ende Juli noch 3616 Lehrstellen unbesetzt gewesen, ihnen stehen 2345 Bewerber gegenüber, von denen knapp die Hälfte eine ausländische Staatsangehörigkeit haben. Rein rechnerisch also müssten alle Suchenden unterkommen: 1,5 Angebote kommen auf einen Bewerber. "Jugendliche, die noch auf der Suche sind, haben gute Chancen, in den nächsten Wochen einen Ausbildungsvertrag zu unterschreiben", erklärt Franz Xaver Peteranderl, Präsident des bayerischen Handwerkstages.

Bis Anfang September tue sich traditionell noch sehr viel, vor allem im Handwerk. Aber schon seit Jahren werden nicht mehr alle Ausbildungsplätze besetzt. Im vergangenen September waren noch etwa 2900 Lehrstellen in München frei, im Vorvorjahr waren es auch schon um die 2500 - umso wichtiger ist eigentlich jeder Bewerber. Sonst verschärft sich der ohnehin bestehende Fachkräftemangel weiter. Die IHK meldet für Oberbayern ein leichtes Minus: Die Zahl der abgeschlossenen Verträge ging im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozent zurück. Bisher seien 702 Lehrstellen an Jugendliche mit Fluchthintergrund vergeben worden, etwa 250 in München.

Zu dieser Gruppe möchte Ousman auch bald gehören. Seine Freunde interessierten sich für Stellen im Einzelhandel, als Maler und Lackierer, Mechatroniker, Industriemechaniker, Koch, Gärtner oder eben Paketbote. "Es wäre schön, wenn unsere Jungs eine Chance bekommen würden", sagt Eckmann. Sonst seien sie von Herbst an zum Nichtstun verdammt. Das aber wollten sie auf jeden Fall vermeiden. Die jungen Männer wollen eine Ausbildung absolvieren und der Gesellschaft, die sie aufgenommen hat, etwas zurückgeben.

Viele Betriebe haben Angst, umsonst zu investieren

Mit ihrem Verein "Perspektiven für junge Flüchtlinge" versucht Laura Eckmann, in München Praktika und Ausbildungsplätze zu vermitteln. Interessierte Betriebe können sich auf der Website www.pfjf.de melden. Fast alle der jungen Männer seien hoch motiviert, sie engagierten sich, schrieben Bewerbungen und blitzten immer wieder ab. Etwa 20 vom Verein unterstützte Jugendliche haben noch keine Lehrstelle. "Das Frustrierende an unserer Arbeit ist die politische Ebene", sagt Eckmann. Wenn es dort nicht gelinge, stabile Voraussetzungen zu schaffen, trauten sich Betriebe nicht, ihre Lehrstellen an Geflüchtete zu vergeben.

"Sie haben Angst, dass sie umsonst investieren", sagt Eckmann. Niemand bilde gerne aus, wenn er nicht absolut sicher sein könne, dass der Azubi im Land bleiben dürfe. Umso wichtiger wäre es, dass die Betriebe sich zusammentäten und geeigneten Geflüchteten die Gelegenheit für eine Ausbildung geben würden. "Wir wollen ja nichts umsonst haben, sondern arbeiten", sagt Ousman.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2017
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