Süddeutsche Zeitung

Architekturspaziergang:Der lange Weg in die Moderne

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Berg am Laim ist älter als München, war Hofmark der Wittelsbacher und erlebte im 19. Jahrhundert einen Lehmrausch. Jetzt soll der einstige Arbeiter- und Industriebezirk lebenswerter werden.

Von Jakob Wetzel (Texte) und Johannes Simon (Fotos)

Besonders augenfällig ist die Geschichte hier nicht mehr - das ist das Erbe der Idee einer autogerechten Stadt. Dabei ist Berg am Laim älter als die Stadt München: So wie Echarding und Baumkirchen ist auch Berg am Laim eine bajuwarische Gründung aus dem frühen Mittelalter, die erstmals im frühen neunten Jahrhundert in historischen Dokumenten auftaucht, knapp 350 Jahre vor dem "Augsburger Schied", dem Gründungsdokument Münchens. In den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts jedoch wurden Verbindungsstraßen wie Schneisen durch den Stadtteil geschlagen, ohne Rücksicht auf historische Strukturen. Wer die Vergangenheit, den Wandel und die Zukunft Berg am Laims erkunden will, muss daher auf Entdeckungsreise gehen.

Vom späten Mittelalter an war Berg am Laim eine Hofmark und persönliches Eigentum verschiedener Mitglieder der Wittelsbacher Herzogsfamilie. Bleibende Spuren hat von diesen vor allem einer hinterlassen: der Kölner Erzbischof und Kurfürst Clemens August, der im 18. Jahrhundert zahlreiche Ämter in seiner Person vereinigte. Der von Zeitgenossen als "Herr der fünf Kirchen" titulierte Fürst war unter anderem Fürstbischof von Regensburg, Münster und Paderborn, außerdem Großmeister des Ordens der Michaelsritter und Hochmeister der Deutschherren. An ihn und seine Zeit erinnert die frühere Hof- und heutige Pfarrkirche Sankt Michael, die Clemens August als Ritterordens- und Bruderschaftskirche erbauen ließ und an welcher dieser Spaziergang beginnt.

Bereits im Mittelalter wurde in Berg am Laim zudem der namensgebende Lehm (Laim) abgebaut. Im Boden östlich der Isar lagerte einst eine 15 Kilometer lange, bis zu drei Kilometer breite und bis zu vier Meter tiefe Lehmzunge. Aus ihr wurden Ziegel gewonnen, die unter anderem für den Bau der äußeren Münchner Stadtmauer sowie der Frauenkirche verwendet wurden. Von 1830 an, als München rasant wuchs und Unmengen an Baumaterial benötigte, erreichte die Ziegelproduktion in den Vororten im Osten eine industrielle Größenordnung. Berg am Laim wurde vom einst spärlich besiedelten, bäuerlichen Flecken, in dem neben einer kleinen Burg und einem Fürstenschloss allenfalls noch Tagelöhner und Handwerker lebten, zur Arbeiterstadt - und das umso mehr, nachdem 1871 der Ostbahnhof und die Eisenbahnlinie von München nach Rosenheim eröffnet wurden.

Im 19. Jahrhundert zog über Berg am Laim so wie über die benachbarten Dörfer ein Lehmrausch hinweg. Es war die Zeit der Spekulanten, der Land- und Ziegeleibesitzer: Sie wurden reich, stiegen in Führungspositionen auf, "Loambarone" wie die Familien Grundler, Graf, Seeholzer oder auch Rattenhuber pflegten einen aristokratischen Lebensstil. Geblieben sind von ihnen hauptsächlich prächtige Grabstätten, etwa an der Stephanskirche in Baumkirchen, an welcher der Rundgang vorbeiführt. Die Ziegelei-Arbeiter hingegen, darunter auch norditalienische Gastarbeiter und viele Kinder, erholten sich von ihrer schweren körperlichen Tätigkeit in Herbergen, einfachen Unterkünften, in denen es weniger Betten gab als Menschen.

Berg am Laim wandelte sich erneut, nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Lehmzunge großteils abgeziegelt war. Es hielten sich zwar das Bahnbetriebswerk und andere Industriebetriebe, weswegen hier im Nationalsozialismus auch Barackenlager für Zwangsarbeiter entstanden. Seit Kriegsende aber ist aus dem Ort, der seit 1913 ein Teil Münchens ist, zunehmend eine Wohnstadt geworden. Gerade in jüngster Zeit bemüht sich die Stadt darum, den einstigen Arbeiter- und Industriebezirk lebenswerter zu machen. Sichtbar ist diese Entwicklung noch immer an verschiedenen Orten im Viertel, zum Beispiel an der immer wieder erweiterten Grundschule an der Berg-am-Laim-Straße oder auch am Grünen Markt in Baumkirchen, wo eine frühere Trambahn-Wendeschleife aufgehübscht worden ist.

Heute ist Berg am Laim ein Stadtteil, der noch lange nicht an seinem Ziel angekommen ist. In Baumkirchen entsteht auf dem ehemaligen Bahn-Betriebsgelände mit "Baumkirchen Mitte" ein neues Geschäfts-, Hotel- und Wohnquartier, mit privat oder gemeinschaftlich nutzbaren Dachterrassen. Neu gebaut wird ebenso jenseits der Bahntrasse im Norden. Längst prägen Hochhäuser an der Bahntrasse und im benachbarten Steinhausen das Ortsbild ebenso stark wie die alten Einfamilienhäuser und Wohnriegel aus vergangenen Jahrzehnten.

Die katholische Michaelskirche ist einer der prächtigsten Münchner Sakralbauten, eine der bedeutendsten Rokoko-Kirchen in Deutschland.

Die spätbarocke Kirche wurde zwischen 1735 und 1751 nach Plänen des Baumeisters Johann Michael Fischer errichtet

Das zentrale Dekenfresko stammt, wie die anderen anderen Gewölbefresken in der Kirche auch, von Johann Baptist Zimmermann. Es zeigt die Befreiung von Siponto, eine Stadt in Süditalien, durch den heiligen Michael.

1. Sankt Michael

Warum es sich lohnt innezuhalten: Die katholische Michaelskirche ist einer der prächtigsten Münchner Sakralbauten, eine der bedeutendsten Rokoko-Kirchen in Deutschland - und steht schon wegen des architektonischen Kontrasts für den Weg Berg am Laims in die Moderne. Die Michaelskirche gilt als kunsthistorisches Herz des Viertels. Zur Hälfte wird sie eingerahmt vom Alten- und Pflegeheim der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul, einem U-förmigen Riegel, dessen Bau umstritten war, dessen Architekt für seine zurückhaltende Gestaltung aber 1981 eine Anerkennung zum Deutschen Architekturpreis erhielt. Die Schwestern sind 1832 von König Ludwig I. nach München gebeten worden, um die Krankenpflege zu verbessern. Seit 1840 sind sie in Berg am Laim präsent, seit 1996 betreuen sie hier auch Patienten, die keine Ordensangehörigen sind.

2. Grundschule Berg am Laim

Warum es sich lohnt innezuhalten: Hier finden sich Spuren des Wachstums und des Wandels. Im 19. Jahrhundert entwickelte Berg am Laim eine stadtähnliche Infrastruktur, dazu gehörte auch eine Volksschule. Das erste Schulhaus stand von 1854 an in der Nähe der Stephanskirche an der Baumkirchner Straße. Wegen des Zuzugs war es 1874 bereits zu klein, also errichtete die Gemeinde ein neues an der Kreuzung mit der Berg-am-Laim-Straße: Es ist die heutige Kindertagesstätte nebenan. Bis 1902 baute die Gemeinde dann wieder eine größere Schule: Sie stand am Ort der heutigen Schule, wurde aber 1963 abgerissen, weil sie nicht autogerecht war: Die Straße wurde verbreitert, die Schule stand im Weg. Der Altbau mit seinem Uhrentürmchen wurde damals durch die heutige, turmartige Front ersetzt. Der älteste Teil der Schule ist nun der mit dem dunklen Dachgeschoss: Er ist Baujahr 1926 und stammt von Friedhofsarchitekt Hans Grässel.

3. Grüner Markt

Warum es sich lohnt innezuhalten: Eingefasst von Kirche, Kindertagesstätte und dem Eingang zum Behrpark, ist der Grüne Markt der derzeit einzige nennenswerte öffentliche Platz im gesamten Stadtteil. Er wurde bewusst geschaffen: Berg am Laim soll lebenswerter werden, daher gestaltete die Stadt hier einen Parkplatz zu diesem Ort um - auch auf Betreiben einer Bürgerinitiative. Jahrzehntelang wurden hier immer freitags Marktstände aufgebaut . Der Markt erinnert außerdem daran, wie Berg am Laim ein Teil Münchens geworden ist. Im Jahr 1926 wurde der bereits 1913 eingemeindete Stadtteil endlich per Trambahn an das Nahverkehrsnetz angebunden - und an dieser Stelle war Endstation, an diesem heute noch leicht rundlich anmutenden Platz befand sich die Wendeschleife. Als die Trasse 1968 zur Sankt-Veit-Straße verlängert wurde, war die Schleife überflüssig, der Platz lag brach. Heute dient er als neues Ortszentrum.

4. Baumkirchen Mitte

Warum es sich lohnt innezuhalten: Was hier geschieht, ähnelt dem Werksviertel am Ostbahnhof, nur kleiner. Auf dem Gelände befand sich einst ein Bahnbetriebswerk: Von 1924 an wurden Lokomotiven und Triebwägen repariert und rangiert. Die Zahl der betreuten Fahrzeuge ging jedoch seit den Fünfzigerjahren zurück. 1992 wurde das Werk stillgelegt, bis 2012 wurde die Reparaturhalle abgerissen. Aus der Industrieanlage wird nun auch hier ein urbanes Zentrum: CA Immo und Patrizia errichten seit 2013 auf mehr als 130 000 Quadratmetern das "Quartier Baumkirchen Mitte" mit vier Baukörpern, etwa 560 Wohnungen, 650 Arbeitsplätzen und einem ökologischen Landschaftspark im Westen, der alleine knapp die Hälfte der Fläche einnehmen wird. Blickfang wird "Neo" sein: ein 60 Meter hoher Hotel- und Büroturm im Osten, geplant vom Amsterdamer Büro UNStudio.

5. Eisenbahnersiedlung

Warum es sich lohnt innezuhalten: Steht das künftige "Quartier Baumkirchen Mitte" für die Zukunft des Stadtteils, so ist hier die Vergangenheit abzulesen. Die hauptsächlich gelb gestrichenen Häuser dieser Wohnsiedlung sind von 1922 an für die Eisenbahn-Arbeiter und Lokomotivführer entstanden, die unter anderem im nahen Bahnbetriebswerk arbeiteten: Die Eisenbahner verdienten zwar wenig Geld, konnten dafür aber günstig wohnen. Bis heute wird die Anlage genossenschaftlich verwaltet. Die 650 Mitglieder der ebenfalls seit 1922 bestehenden "Eisenbahner-Baugenossenschaft München-Ost Rangierbahnhof" machten erst 2012 wieder von sich reden; um zu verhindern, dass ein privater Investor 300 bis dahin nur gepachtete Wohnungen übernahm und womöglich luxussanierte, kauften sie diese dem Bund samt Grund für 24,5 Millionen Euro selber ab - und akzeptierten dafür fortan höhere Mieten.

6. Süddeutscher Verlag

Warum es sich lohnt innezuhalten: Die Bahntrasse im Süden dieses Hochhauses markiert die Grenze zum Stadtbezirk Bogenhausen. Der Süddeutsche Verlag hat seinen Sitz also eigentlich im Nachbarbezirk - gehört aber dennoch gefühlt zu Berg am Laim, denn das alleinstehende Hochhaus ist weithin sichtbar und prägt deshalb auch südlich der Schienen das Stadtbild. Dabei ist das Gebäude kleiner als anfangs geplant: Die Entwürfe sahen ursprünglich ein 146 Meter hohes Gebäude vor. Doch ebenso wie bei einem damals vorgesehenen Büroturm auf dem Siemens-Gelände machte den Planern im Jahr 2004 ein von Alt-OB Georg Kronawitter angeschobenes Bürgerbegehren einen Strich durch die Rechnung. Auch außerhalb des Mittleren Rings durften keine Gebäude mehr höher sein als die Türme der Frauenkirche. Das Gebäude misst deshalb heute nur knapp 100 Meter. Es beherbergt hauptsächlich die Süddeutsche Zeitung.

Das Ensemble der Bavarian Towers besteht aus drei Bürotürmen und einem Hotel-Hochhaus.

Doch bevor mit dem Neubau begonnen werden konnte, mussten erst einmal die alten Büro-Türme aus den Sechziger- und Siebzigerjahren weichen.

Insgesamt mussten 100 000 Tonnen Stahlbeton weggeräumt werden.

Fünf Gewerbekomplexe zwischen 70 und 40 Metern Höhe und eine Lagerhalle standen vormals auf dem Abriss-Areal.

Das neue Ensemble soll einen repräsentativen Eingang nach München bilden, versprechen die Architekten.

7. Bavaria Towers

Warum es sich lohnt innezuhalten: Was hier entsteht, weist über sich hinaus: Es könnte die Zukunft sein für sämtliche frühere Industrieflächen an der Bahntrasse, auch in Berg am Laim, bis nach Riem. Das spanische Architekturbüro Nieto Sobejano, das auch das neue Hotel Königshof am Stachus plant, baut für die Zurich-Versicherung und eine Gesellschaft der Von-der-Heyden-Gruppe drei Bürotürme und ein Hotel-Hochhaus mit fünfeckigen Grundrissen und, eingedenk der Hochhaus-Debatte, mit Rücksicht auf historische Sichtachsen. Das kleinste Gebäude, der "Star Tower", wird mit etwa 46 Metern Höhe im Osten stehen; der mit knapp 84 Metern größte Turm wird sich nördlich anschließen. Das Ensemble werde einen repräsentativen Eingang nach München bilden, versprechen die Architekten - und mit "Neo" in Baumkirchen und dem Hochhaus des Süddeutschen Verlages kann es dem Münchner Osten eine Skyline geben.

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