Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Nachtgeschichten:Wenn in der Allianz-Arena die Lichter an bleiben

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Abpfiff. Fußballer und Zuschauer verlassen nach und nach das Stadion. Dann wird es still, geschäftig bleibt es trotzdem. Denn nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

Von Kassian Stroh, Fröttmaning

Zu hören ist jetzt kaum noch was. Gelegentlich dringt vom Rasen ein leichtes Klappern herauf: Vor der Südkurve stehen am Elfmeterpunkt die Greenkeeper, und wenn sie eine irreparabel kaputte Stelle finden, dann schneiden sie ein kreisrundes Loch heraus und setzen ein Stück Ersatzrasen ein, das sie in einer Schubkarre dabei haben. Gelegentlich hört man auch einen der Putzmänner reden, die irgendwo da oben im Oberrang den Müll zwischen den Sitzen herunterkehren. Und über allem brummt monoton die Kühlung der LED-Werbebanden rund um das Spielfeld. Es ist kurz nach eins. Das alles ist natürlich kein Vergleich zu dem Spektakel, das hier vor drei Stunden zu erleben war, aber es ist auch keine Ruhe. Richtig leise wird es im Stadion nicht in dieser Nacht.

Die Tore stehen zusammengeklappt auf einem Gestell am Rand. Sie beiseite zu räumen, das war das erste, was die Rasenpfleger vorhin getan haben. Fünf Minuten war das Spiel vorbei, die Bayern-Spieler waren gerade in der Kabine verschwunden, da standen sie schon auf dem Platz: Rasen reparieren, weggetretene Reste mit einem Minitraktor absaugen, am nächsten Morgen noch zweimal mähen, die Linien neu ziehen. Zehn Greenkeeper sind im Einsatz, mehr als sonst, es muss schnell gehen, wirklich schnell.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel: Selten passt diese Fußballer-Plattitüde so gut wie an diesem Dienstagabend. Audi-Cup heißt das zweitägige Mini-Turnier in der Allianz-Arena von Fröttmaning, bei dem auch der FC Bayern mitmacht. Vier Spiele binnen 28 Stunden, das gibt es sonst nie. "Schon sehr extrem", sagt der Cheflogistiker. "Schon eine Herausforderung", sagt der Küchendirektor. "Spannend wird, das Ganze wegzubekommen bis morgen", sagt der Leiter der Spülküche mit Blick auf all die ungezählten Stapel dreckiger Platten, Teller und Töpfe. Das Putzen, das Spülen, das Reparieren: Was sonst auch mal Zeit hat bis zum nächsten oder übernächsten Tag, das muss jetzt in wenigen Stunden geschehen.

Unter der Nordkurve des Stadions steht Tim Reisch, er arbeitet für Do & Co, das ist die Firma, die im Stadion für die komplette Gastronomie zuständig ist, im VIP-Bereich ebenso wie in den Wurst- und Pommes-Buden. Reisch ist für die Logistik zuständig, ein gutes Dutzend Leute hat er jetzt in der Nacht im Einsatz: Sie sammeln in den Küchen und an den Verkaufsständen alles ein, was weg muss: 50 Paletten mit leeren Körben für die Semmeln, noch mal 40 für die Brezen, 100 Paletten mit Bierfässern und so weiter - das alles wird gesammelt und in der Nacht noch abgeholt. Am Morgen kommt die frische Ware. Nicht zu vergessen: Zehntausende Bierbecher, die nach Bergkirchen hinter Dachau gebracht, dort gereinigt und wieder zurückgefahren werden. "Diese Masse kann man nicht spülen hier", sagt Reisch. Sein Hauptproblem: Er muss fast alles über einen einzigen Aufzug zum Stadionausgang transportieren und Neues auf demselben Weg hinein. Mehr als zwölf Bierfässer auf einmal passen da nicht rein. Das dauert.

Deshalb bleiben auch zehn Meter über ihm auf der Stadionpromenade all die Zigarettenkippen, Papierservietten und festgetretenen Pommes noch einige Stunden auf dem Boden liegen. Die Kehrmaschinen der Reinigungsfirma kommen erst um vier Uhr früh, dann, wenn Reischs Leute alle Buden leergeräumt haben. Man stünde sich sonst nur im Weg.

In der Zentrale der Haustechnik verfolgen an einer großen Videowand derweil ein knappes Dutzend Menschen, wie es so läuft mit dem neuen Kennzeichen-Scanning in den Parkhäusern, das die Schranken automatisch öffnet, wenn man vorher für sein Auto bezahlt hat. Dafür ist jetzt auch Zeit, denn viel muss nicht erledigt werden. Thomas Sieger, einer der Techniker, schaut auf seinen Zettel: Ein defekter Handtuchspender, ein paar kaputte Klodeckel - das haben sie auf ihren Rundgängen nach dem Spiel entdeckt. "Relativ human", sagt Sieger, aber heute ist ja auch Audi-Cup, da kommen viele Familien und eher wenige "Gästefans, die dem Vandalismus nahe stehen", wie er das formuliert.

Zwei ruhige Spiele also, was sich auch daran zeigt, dass schon kurz nach Mitternacht bei der Polizeizentrale die Lichter aus sind. Die Feuerwehr ist bereits weg, nur unten im Behandlungszentrum des Roten Kreuzes harren zwei Rettungssanitäterinnen und ein Kollege aus, vor der Tür für alle Fälle ein Sanka - bis der Sicherheitsdienst meldet, dass der letzte Besucher das Stadion verlassen hat.

So ein Stadion leert sich rasch, zumal bei einem Abendspiel, zumal wenn viele Familien mit Kindern da sind. Um 22.20 Uhr war Abpfiff, und eine halbe Stunde später, als auf den Videowänden die Pressekonferenzen der Trainer gezeigt werden, sehen auf den Rängen nur noch 200, 300 Menschen zu. Viele haben sich vor Spielende auf den Heimweg gemacht - aber einige sind da auch erst gekommen: Just zum Abpfiff haben ein paar Dutzend Zoll-, Polizei- und Gewerbeamtsbeamte das Stadion betreten, sich dort rasch verteilt, alle Personalausgänge geschlossen und sich die Security-Beschäftigten für eine Schwarzarbeitskontrolle vorgeknöpft.

Oben, in den Firmenlogen oder in dem "Businessclub" genannten Restaurant für die prominenten oder viel zahlenden Gäste, ist noch ein bisschen länger was los. Hier ist heute um 23.45 Uhr Ausschankschluss, dann aber wirklich, die Drei-Mann-Combo "dis M" darf nicht eine Minute länger spielen. Sobald es nichts mehr zu trinken gibt, leert sich der "Businessclub" rasch. Das soll er auch. Gegen Mitternacht sollen alle Besucher draußen sein. "Stadionschluss" heißt dieser Zeitpunkt in den Plänen. Und den einzuhalten, ist wichtig, wenn schon am nächsten Tag alles noch mal von vorne beginnt.

Noch während mancher Businesskunde vor seinem Noagerl sitzt und die letzten verbliebenen Filmschauspieler-Kinder ein bisschen kickern, werden die Tische für den nächsten Tag eingedeckt, die Büffets geputzt, die sauberen Gläser in den Bars drapiert. "Wir haben einen sehr straffen Zeitplan", sagt Thomas Muhr, der Küchendirektor. Alles, was jetzt gemacht werden könne, werde auch gemacht. Nur in der Küche ist schon Schluss. Da fangen aber auch um fünf Uhr die ersten wieder an.

Um 1.20 Uhr ist das Spiel Bayern gegen Fenerbahçe Istanbul seit genau drei Stunden vorbei. Die Beleuchtung der Fassade wird abgeschaltet. Die Greenkeeper gehen zurück in den Aufenthaltsraum. Diesen Rasen haben sie ein allerletztes Mal gepflegt, nächste Woche wird ein neuer verlegt. Ein paar Schritte weiter verlässt der letzte Sportjournalist den Pressearbeitsraum. Die Protagonisten des Tages, die Spieler, sind schon lange weg. Das freut die Sicherheitsmänner, die unten für den Kabinenbereich zuständig sind. Normalerweise müssen sie so lange ausharren, bis der letzte Spieler seine Dopingprobe abgegeben hat. Die Ordner hoffen immer, dass das Los einen Ersatzspieler trifft. Bei einem Spieler, der 90 Minuten auf dem Platz stand, kann sich so eine Urinprobe wegen des Flüssigkeitsmangels schon mal über ein paar Stunden hinziehen. Und die Ordner müssen die ganze Zeit bei ihm bleiben. Diesmal nicht, diesmal gibt es keine Dopingprobe: Der Audi-Cup ist kein Pflichtspiel, Glück gehabt.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2019
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