Süddeutsche Zeitung

Theater:Ein Kopf voll Rädchen

Lesezeit: 2 min

Mit einer aufwendigen Maschine erzählt die Kulturbühne Spagat die tragische Geschichte eines Genies: Alan Turing.

Von Enna Kelch

Fragt man den Bot "Chat-GPT", ob er Christopher kenne, antwortet die künstliche Intelligenz: "Nein, ich kenne Christopher nicht." Dabei müsste der Chatbot doch eigentlich mit seinem fernen Verwandten aus den Vierzigerjahren vertraut sein. Denn obwohl "Christopher" seine Antworten damals noch per Zufallsgenerator erzeugte, legte seine Erfindung einen Grundstein für künstliche Intelligenz. Sein Schöpfer ist heute als Begründer der modernen Informatik bekannt. Und nebenbei auch dafür, dass er mittels Technologie maßgeblich zum Ende des Zweiten Weltkrieges beitrug.

Auf der Bühne in der Halle 50 der Domagkateliers spielt Thorsten Krohn den Wissenschaftler Alan Turing als ein nervöses, in sich gekehrtes Kerlchen, vor der Kulisse einer mächtigen Maschine. "Wer Alan Turing wirklich war, bleibt im Dunkeln", sagt der Regisseur des installativen Theaterprojektes "Alan - Mensch Maschine" der Kulturbühne Spagat. Was man allerdings über Turing weiß, ist ebenso faszinierend, wie schockierend.

Der 1912 geborene Brite entdeckte schon während seiner Schulzeit seine Leidenschaft für fortschrittliche moderne Wissenschaft - und dass er sich zu einem Mitschüler namens Christopher hingezogen fühlte. Als seine Jugendliebe plötzlich an Tuberkulose starb, florierte Turings Faszination für das Problem von Geist und Gehirn.

Während des Zweiten Weltkrieges entwickelte er in Bletchley Park eine neue Maschine, die in der Lage war, die militärischen Signale der Enigma-Maschine der Deutschen zu knacken. Doch das große Lob blieb aus - seine Arbeiten wurden bis nach Kriegsende unter den Teppich gekehrt. Weil homosexuelle Aktivitäten aller Art zu seiner Zeit illegal waren, wurde Turing später strafrechtlich verfolgt und vor eine verhängnisvolle Wahl gestellt: entweder ins Gefängnis gehen oder sich im Zuge der Bewährungsstrafe einer chemischen Kastration unterziehen. Er wählte seine "Freiheit" und erkrankte infolge seiner Behandlung an einer Depression. Daraufhin nahm er sich das Leben.

Ein Plädoyer für das Leise

Es war Turings Einsamkeit, an die Thorsten Krohn andocken konnte. "Ein stiller, ruhiger Mensch", beschreibt er das Genie. Das Theaterstück sei ein Plädoyer für das Leise, sagt er. Dabei ist die Inszenierung von Alan Turings Tragödie alles andere als leise. Mit ordentlich Rums, Lärm und Gepolter kommt die mächtige Maschine zum Einsatz. Wenn Christian Taison Heiß, der gemeinsam mit Krohn Regie führt, die Knöpfe und Tasten am Technikpult betätigt, beginnt eine eindrucksvolle Show.

Über ein Jahr bastelte das Portmanteau Duo, bestehend aus Toningenieur Heiß und Mechaniker und Elektroniker Greulix Schrank, an der Musikmaschine. 20 Schäfer-Sortierkästen upcycelte das Musik-Duo zu einer installativen Maschine, die mit komplexen rhythmischen Sequenzen eine Vielzahl an Klangwelten abbilden kann. Von Klöppelschlägen über Glockenklingeln bis zu Kettenkratzen. "Wir wollten eine Maschine, die die drei großen Gewerke Ton, Klang und Licht verbinden kann", erklärt Heiß. Und ganz nebenbei "spielt" sie auch noch die Turing-Maschine Christopher. Könnte die stimulierende Technologie den Menschen auf der Bühne da nicht glatt ablösen? "Die Maschine ist pures Glück. Aber letztlich ist es ein Stück über einen Menschen", sagt Krohn.

"Alan - Mensch Maschine" , Do., 30. Nov., Sa., 2. Dez., Do., 7. Dez., Fr., 8. Dez., Sa., 9. Dez., Halle 50, Domagkateliers München, Margarete-Schütte-Lihotzky-Straße 30

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6311466
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.