Süddeutsche Zeitung

Aktion gegen Wohnungsnot:Eine Kammer auf der Maximilianstraße

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Von Susanne Hermanski, München

Ein Berliner erkennt das gleich: Welches ist die größte Not in einer sonst so reichen Stadt wie München? Die Wohnungsnot. Matthias Lilienthal, der von der nächsten Spielzeit an die Kammerspiele leiten wird, ist Berliner durch und durch, und er ist keinesfalls von der Spree an die Isar gekommen, um hier auf Kuschelkurs zu gehen. So wird er zwar Mitte Oktober das Schauspielhaus unter seiner Ägide mit einer Klassiker-Inszenierung eröffnen, davor setzt er jedoch noch eine vier Wochen währende Kunstaktion der weniger kommoden Art. Deren Titel: "Shabbyshabby Apartments". Das sind provisorische Unterkünfte in Form von kleinen Häuschen und Hütten, halb Kunst, halb Kammer, ein bisschen begehbare Skulptur und relativ wenig Schutzraum. Allesamt Behausungen ohne neumodischen Schnickschnack wie fließendes Wasser oder Zentralheizung. Aber dafür mitten in der teuren Maximilianstraße, am Europäischen Patentamt oder direkt vor dem Isartor. Und die Botschaft der Aktion ist klar: München braucht dringend Wohnraum, aber keine Luxus-Appartements, sondern günstige Wohnungen.

Matthias Lilienthal setzt dafür auf Provokation und hat es schon klar vor Augen: "Ich stelle mir das prima vor: Da klopft man dann morgens nach der Nacht im Shabbyshabby Appartement beim Security-Mann von Gucci an: "Kann ich mal bei Euch aufs Klo. . .?" Und damit der Coup ästhetisch auch wirklich interessant wird, gibt es nun eine weltweite Ausschreibung für die Gestaltung der Behausungen, zu der Lilienthal dediziert auch Münchner Designer und Architekten einlädt. Die aktuell laufende Woche der "Munich Creative Business Week" (MCBW), in der sich in der Stadt ohnehin die gesamte Branche trifft, erscheint der perfekte Zeitpunkt dafür.

Häuser ohne Schnickschnack

Denn schließlich müssen die Häuser nicht nur interessant anzusehen sein, sie benötigen auch ein Mindestmaß an Funktionalität, die "22 temporären Wohnungen, sollen vom 12. September an jeweils für eine Nacht gemietet und zum Heim für die Münchner werden können", so steht es in der Ausschreibung. Lilienthal hat schon einmal ein vergleichbares Projekt, quasi als Generalprobe für München auf die Beine gestellt; im vergangenen Jahr, als er das Festival "Theater der Welt" in Mannheim kuratierte.

Auch wenn die Wohnungssituation dort mit der in München nicht zu vergleichen sein dürfte - Zündstoff hat die Aktion in der florierenden Stadt geliefert. "Die Damen vom Förderverein des Theaters waren zunächst empört über den Unfug. Nach ein paar Wochen hatten sie aber nur noch ein Thema: Wo hast du schon übernachtet?", erinnert sich Lilienthal. Eigene Erfahrungen mit dem Leben in einer solchen mobilen Wohnkapsel hat er auch schon gemacht: "In der Nacht habe ich 39 Grad Fieber bekommen, und draußen tobte ein Gewitter. Ich dachte nur: Hat das Ding eigentlich einen Blitzableiter?"

Die Stadt will die Aktion unterstützen

Das Wetter wird den "Shabbyshabby Apartements" schließlich auch wieder ein natürliches Ende bereiten - mit Wintereinbruch sollen sie abgebaut werden. Doch zunächst läuft bis zum 30. März 2015 erst einmal der weltweite "Open Call", der Architekturstudierende, Urbanismusforscher und Interessierte anderer Disziplinen aufruft, Entwürfe für die temporären Wohnungen einzureichen. "Das Budget hält sich, ähnlich wie bei den strengen Vorgaben für Sozialwohnungen, in einem engen Rahmen. Auf welche Weise und mit welchem Material gearbeitet wird, steht den Gruppen frei. Verfahren von Recycling und Upcycling bieten sich an", heißt es in der Ausschreibung.

Eine international besetzte Fachjury wird dann rund 20 Entwürfe auswählen. Zu den Juroren gehört auch Chris Dercon, der ehemalige Chef des Hauses der Kunst und heutige Leiter der Tate Modern in London. Und auch Kulturreferent Hans-Georg Küppers: Die Stadt hat schon signalisiert, die Wohncontainer-Aktion zu unterstützen. Die Auswahl wird am 12. April 2015 in der Spielhalle der Kammerspiele bekannt gegeben.

Shabbyshabby Apartments: Informationen und Ausschreibung unter http://raumlabor.net

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Quelle:
SZ vom 25.02.2015
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