Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Feiern, schlafen, Pause machen

Lesezeit: 1 min

Eine alte Abizeitung von 2001, ein Fundstück auf dem Gehweg, ruft alte Träume und unerfüllte Wünsche wieder in Erinnerung. Manche Ideen sind längst passé, und manches ändert sich nie.

Kolumne von Julia Schriever

Vor einiger Zeit lag eine alte Abizeitung auf dem Bürgersteig in der Müllerstraße. Irgendjemand hatte wohl sein Bücherregal ausgemistet und beschlossen, dass alles rausmuss. Zwischen zerfledderten Reiseführern und Kochbüchern lag da also die Zeitung des Abiturjahrgangs 2001 des Münchner Asam-Gymnasiums. Spiralbindung, roter Einband, darauf ein Eisbär mit Sonnenbrille. Daneben der Schriftzug: "Always cool."

Nicht alles, was man als Abiturient cool findet, ist auch später noch cool. Eine Abizeitung ist wie eine Zeitkapsel. Alle Schülerinnen und Schüler einer Abschlussklasse schreiben auf, was sie in den vergangenen acht, neun Jahren erlebt haben. Jeder füllt einen Steckbrief aus. Mit peinlichen Anekdoten, dämlichen Witzen, aber auch mit großen Plänen und Träumen. Im Jahrgang 2001 gab es Christian, Gewicht 86 Kilo, größter Traum: "Mit meiner Freundin für immer zusammen sein". Oder Ekrem, Hobby Fußball, der sich "Heirat mit Jennifer Lopez und 19 Kinder" wünschte. Silke, Lieblingsgetränk Wodka Bull, die "einmal Fotos für eine gewisse Zeitschrift machen" wollte. Und Eva, Lieblingsspeise Putenschnitzel mit Nudeln, die "1 x Michael Jackson live in concert" sehen wollte. Man wüsste gerne, ob da wenigstens das eine oder andere so gekommen ist.

Manche Dinge ändern sich nie. Egal, ob man 2001 oder 2022 seinen Abschluss macht. Es gibt wohl in jedem Jahrgang eine Michelle, Lieblingsspeise Himbeeren, deren größter Traum es ist, "glücklich zu sein". Einen Ulrich, Leistungskurs Physik, der klarstellt, dass er "kein Träumer" ist. Und einen Bruno, Sternzeichen Widder, der seine "eigene Softwarefirma" gründen will.

In diesen Wochen bringen die Abiturienten in Bayern ihre letzten Prüfungen hinter sich. Sie hatten eine sonderbare Oberstufen-Zeit mitten in der Pandemie. Man sieht jetzt wieder viele blasse junge Menschen, die sich im Eisbach flussabwärts treiben lassen und in tropfender Badehose mit der Tram zurückfahren. Und vielleicht wird ja der ein oder andere Steckbrief für die Abizeitung im Englischen Garten ausgefüllt: Name, Hobbys, Lieblingswitz. Sternzeichen, Lieblingslehrer, größter Traum. Vermutlich will niemand mehr in den Playboy kommen. Und auch Jennifer Lopez und Michael Jackson dürften wohl keine so große Rolle mehr spielen 2022. Aber manches bleibt vielleicht auch. Häufigste Antworten auf die Frage "Leben nach dem Abi" waren schon 2001: feiern, schlafen, Pause machen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5589935
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.