Süddeutsche Zeitung

Rechtsanspruch von Eltern:Quälendes Warten auf einen Krippenplatz

Lesezeit: 3 min

Von Melanie Staudinger, München

Tanja C. glaubte, alles richtig gemacht zu haben. Noch bevor ihr Sohn geboren wurde, ließ sie ihn für einen Krippenplatz vormerken. Kann ja nichts mehr schiefgehen, dachte die Mutter. Doch es kam anders: Das Münchner Bildungsreferat schaffte es nicht, der Familie rechtzeitig einen Platz zu vermitteln. Die Eltern suchten sich selbst eine Krippe, die jedoch 87 Euro im Monat mehr kostet als eine städtische Einrichtung. Den Betrag wollten sich die C.s von der Stadt zurückholen - aber sie scheiterten vor dem Verwaltungsgericht. Das urteilte: Wer sich trotz eines Angebots der Kommune für eine private Betreuungseinrichtung entscheidet, hat Pech gehabt. Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz sei erfüllt.

Seit August 2013 haben alle Eltern mit Kindern, die jünger als drei Jahre alt sind, das Recht auf einen öffentlichen Kita-Platz. Nach zwei Jahren kristallisiert sich langsam heraus, welche Rechte Familien bei der Krippen-Suche haben. Die Zahlen nämlich sind sehr eindeutig: Die Prozess-Statistik des Bildungsreferats zählt insgesamt 106 Verfahren von 83 Klägern und Antragstellern. Verloren hat die Stadt bisher kein einziges davon. Ganz im Gegenteil: In 63 Fällen hat sie gewonnen, die Klagen sind zurückgenommen oder für erledigt erklärt worden - oft erhalten Eltern noch im Gerichtssaal ein Angebot vom Bildungsreferat. Die restlichen 43 Verfahren sind noch offen, dürften aber ähnlich ausgehen wie bisher.

Der Differenzbetrag soll erstattet werden

Die meisten Eltern, die klagen, wollen lediglich den Rechtsanspruch durchsetzen (etwa 60 Prozent der Fälle), also einen Krippenplatz haben, der ihnen vor einem Prozess dann meist noch angeboten werden kann. Der Rest will, wie Familie C., dass die Stadt ihnen den Differenzbetrag zwischen ihrer teureren Kindertagesstätte und einer städtischen Einrichtung erstattet. Oder aber Eltern wollen, dass das Bildungsreferat ihren Verdienstausfall begleicht, weil sie erst später einen Kita-Platz bekamen und nicht wie geplant arbeiten konnten.

Dass es die befürchtete Klagewelle nicht gibt, rechnet die Stadt der Arbeit ihrer Elternberatungsstelle zu. Die Mitarbeiter dort kümmern sich um Familien, die leer ausgegangen sind, und vermitteln Alternativ-Plätze. Ein Wunschkonzert ist das aber nicht. Eltern müssen etwa einen einfachen Fahrtweg von 30 Minuten durchaus in Kauf nehmen. So urteilte das Münchner Verwaltungsgericht im September 2013. Das Recht auf einen Krippenplatz beinhaltet nicht, dass die Einrichtung in der unmittelbaren Nähe der Wohnung sein muss. Außerdem folgten die Richter bislang der Auffassung der Stadt, dass es kein Recht auf eine bestimmte Einrichtung gibt. Demnach erfüllen nicht nur städtische Kitas den Rechtsanspruch, sondern auch andere, sofern sie nach dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) gefördert werden.

Kein dringender Fall

Das betraf auch Tanja C. "Im Endeffekt habe ich mich 22 Monate vor dem gewünschten Kita-Start für Plätze vormerken lassen und trotzdem eine Absage erhalten", erklärt sie. Bis sieben Wochen vor ihrem geplanten Arbeitsbeginn habe sie keine Nachricht von der Elternberatungsstelle erhalten - obwohl sie den Bedarf angemeldet, sich bei der Tagesmütter-Vermittlungsstelle bemüht und noch einmal im Bildungsreferat vorgesprochen habe. Ende Juni 2013 sei ihr dort mitgeteilt worden, dass sie kein dringender Fall sei, wenn sie im August 2013 einen Platz benötige. "Hätte ich mich dann nicht darum bemüht, einen privaten Platz zu organisieren, hätte ich meinem Arbeitgeber keine Zusage geben können", sagt C.

Was sie am Urteil des Verwaltungsgerichts in ihrem Fall vor allem ärgert, sind zwei Punkte: Völlig irrelevant sei es für die Stadt wie auch für die Richter gewesen, dass die Kita-Plätze so spät vergeben werden, Eltern also keine Planungssicherheit hätten und sich notgedrungen um Alternativen kümmern müssten. Gesetzlich sei nur wichtig, dass ein Platz offeriert wurde, selbst ein verspätetes Angebot reiche aus. Man könne das Kind ja in die andere Einrichtung umziehen, was unter Experten allerdings umstritten ist, weil dies eine psychische Belastung für das Kind darstellen könne.

Tanja C. jedenfalls ist enttäuscht von der Rechtsprechung. "Wozu ist der Rechtsanspruch überhaupt gut?", fragt sie sich und mit ihr viele andere Eltern, die jeden Monat Mehrkosten zu tragen haben oder weite Weg auf sich nehmen müssen. Teure Plätze, die ungünstig lägen, habe man schließlich vor dem Rechtsanspruch auch schon bekommen.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2015
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