Süddeutsche Zeitung

Wolfgang Joop:Danke dem Schwätzer

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Sexuelle Übergriffe als lebensfrohe Sünde? Der Modedesigner Wolfgang Joop offenbart ein Frauenbild, das in Teilen seiner Branche wohl weiterhin herrscht.

Kommentar von Katharina Riehl

Wolfgang Joop hat dem Spiegel ein Interview gegeben, unter anderem anlässlich der seit Monaten gern diskutierten Frage, ob Corona eigentlich in erster Linie ein Fashion-Problem sein könnte: zu viele Jogginghosen, zu wenig Stil.

Bemerkenswert allerdings war das Gespräch weder wegen der persönlichen Haltung des Modedesigners zu Hosen mit Gummizügen, noch wegen seiner Ausführungen zu Angela Merkels Blazern ("schlecht geschnitten") oder der fehlenden Krawatte von Robert Habeck ("Wenn einer sich schlampig anzieht, denkt er auch schlampig"). Bemerkenswert war die Nonchalance, mit der er lamentierte, wie viel schöner und lustiger es in seiner Branche doch zuging, als man Frauen noch viel einfacher wie Dreck behandeln konnte.

Wolfgang Joop sagte: "Die Agenturen gaben die Schlüssel zu den Zimmern der Models, die nicht so viel Geld brachten, an reiche Männer. Und wenn sich ein Mädchen beschwerte, hieß es: Wir können auch auf dich verzichten." Und auf den erstaunlich sanften Hinweis der Interviewer, dass das "doch fürchterlich" sei, gab Joop zur Antwort: "Ja. Aber wirklich schön ist die Modewelt nur, wenn es auch die Sünde gibt."

Sexuelle Übergriffe als lebensfrohe Sünde, meine Güte. Dass der Mann in einen mittelgroßen Shitstorm geriet, geschieht ihm recht. Und jetzt? Bekannt ist, dass Joop schon immer große Freude am Krawall hatte und auch gerne mal Dinge erzählt, an die er selbst nicht so ganz glaubt. Außerdem wird der Mann bald 77 und spielt keine wirkliche Rolle mehr. Möglichkeit eins: Man lässt ihn halt reden, was ja offenbar die Wahl ist, die der Spiegel getroffen hat. Oder aber man nimmt sehr ernst, was Wolfgang Joop hier unverblümt gesagt hat: dass Vergewaltigung von Models zumindest früher zum Alltag gehörte. Und dass in Teilen der Modebranche noch immer ein erschütterndes Frauenbild vorherrscht. Die "Me Too"-Debatte hat deren Welt bislang nur sanft gestreift. Es wird Zeit, dass sich das ändert.

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