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Steuerzinsen:Auftrag aus Karlsruhe

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Sechs Prozent Zinsen fordert der Staat von Steuerzahlern - zu viel. Reformiert werden muss aber mehr als eine Zahl.

Kommentar von Bastian Brinkmann

In der feinen Sprache des Bundesverfassungsgerichts sind die sechs Prozent Zinsen, die der Staat bei Steuernachzahlungen fordert, "evident realitätsfern". Wer die unverschuldet zahlen musste, weil das Finanzamt zu lange für die Bearbeitung der Steuererklärung gebraucht hat, dem fallen wohl noch ganz andere Worte ein. Im Stillen genossen haben wohl diejenigen, die bei Rückzahlungen sechs Prozent Zinsen bekommen haben. So eine Rendite muss man erst mal schaffen*.

Sechs Prozent: So hoch sind die Zinsen schon lange nicht mehr, und werden sie vermutlich auch nie wieder sein. Die Zahl stammt noch aus den frühen Fünfzigerjahren, hat Karlsruhe ermittelt. Und damit aus einer Zeit, in der das Wirtschaftswunder die Einkommen, das Bruttoinlandsprodukt, die Preise und eben auch die Zinsen wachsen ließ. Zeiten mit so hohen Zinsen sind, das wissen Ökonomen mittlerweile, historische Ausnahmen.

Die Welt hat sich zum Glück seit den Fünfzigerjahren weiterentwickelt, nur die sechs Prozent in der deutschen Abgabenordnung blieben - bis sie nun für verfassungswidrig erklärt wurden. Bundestag und Bundesrat müssen nun bis nächsten Sommer eine Reform verabschieden.

Der Staat kann bislang viel zu schlecht Algorithmen

Diese Reform weist auf ein grundlegendes Dilemma des Finanzrechts hin. Oft wäre es besser, für Kindergeld, Bafög, Steuerfreibeträge oder eben Steuerzinsraten die Inflation automatisch zu berücksichtigen, also dynamische Werte ins Gesetz aufzunehmen anstelle absoluter Zahlen. Besonders bekannt ist der Effekt bei Löhnen: Steigen sie, steigt auch die relative Steuerlast - manchmal so sehr, dass das zusätzliche Einkommen mehr frustet, als Spaß bringt, wenn die Leute auf ihre neue Gehaltsabrechnung schauen. Die Inflation hier direkt im Steuersystem mitzudenken, nennen die Fachleute "Einkommensteuertarif auf Rädern".

Dynamische Werte im Finanzrecht, die sich der ökonomischen Realität automatisch anpassen - das wäre oft gerechter, aber leider auch komplizierter. Das schafft die Steuerverwaltung nur, wenn sie völlig digitalisiert wird. Algorithmen können in Gigahertz-Geschwindigkeit viele Steuererklärungen neu berechnen. Aber der Staat kann bislang viel zu schlecht Algorithmen.

Hinter dem Auftrag aus Karlsruhe steckt für die künftige Bundesregierung also viel mehr Arbeit, als nur eine Zahl in einem Paragraphen zu ändern. Und sie kann das nicht alleine schaffen: Zuständig für die Steuerverwaltung sind im Wesentlichen die Bundesländer.

*Anmerkung der Redaktion: Die vom Finanzamt gezahlten Zinsen müssen versteuert werden . In einer früheren Version hieß es fälschlicherweise, das sei nicht der Fall.

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