Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Erzwungenes Lernen

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Die Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt hat sich verbessert - aber vor allem auf Druck von außen hin.

Von Annette Zoch

Der vernichtende Ausdruck steht ganz am Ende. Der Historiker David Rüschenschmidt hat gerade auf einem Zeitstrahl dargestellt, wie sich im Bistum Münster die kircheninterne Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt von 2002 entwickelt hat. Und dann steht da ganz am Schluss ganz knapp: "Erzwungene Lernprozesse." Zweifellos habe sich die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche verbessert - aber zustande gekommen sei diese Verbesserung durch Druck von außen. Und noch bis heute stoßen Betroffene in der Kirchenhierarchie bisweilen auf taube Ohren und verstockte Herzen, wenn sie Gerechtigkeit fordern und ein echtes Eingeständnis von Schuld.

Am Montag wurde nun die Missbrauchsstudie für das Bistum Münster vorgestellt, diverse weitere Studien werden noch folgen, zum Beispiel für Trier, Essen und Mainz. Standen beim Münchner Gutachten auch die prominenten Namen im Fokus - Joseph Ratzinger, Friedrich Wetter, Reinhard Marx - zeigt die Studie für das Bistum Münster auf das Netz drumherum. Auf die zweite, dritte, vierte Reihe, auf die Personalkonferenz als mitbrüderliche Kungelrunde, auf die tuschelnden Gemeindemitglieder, auf die vielen Teilnahmslosen und auf das System Kirche an sich.

Dies ist das große Verdienst der Münsteraner Studie, sie geht - neben dem Blick auf konkrete Verantwortlichkeiten - an die Fundamente. Sie fragt nach der Sakralisierung von Macht, nach dem lange gepflegten, problematischen Selbstbild. Kann jemand, der Kindern Gewalt antut, zugleich ein "heiliger Mann" sein, einer, der Christus personifiziert? Kann eine Institution, die Täter schützt und Taten ermöglicht, sich als heilig bezeichnen? Kann eine Institution einerseits beteuern, sie wolle dem Missbrauch den Garaus machen, und gleichzeitig Strukturen aufrechterhalten, ja mehr noch, sie für gottgegeben erklären, die genau diesen Missbrauch begünstigen? Die Antwort liegt auf der Hand.

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