Süddeutsche Zeitung

Iran:Der Islamische Staat

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Iran vor der Machtübernahme von Ebrahim Raissi: Das Regime hat dafür gesorgt, dass ein Schlächter der nächste Präsident wird. Und nun will es den Menschen auch noch ihren letzten Schatz rauben. Wehe ihm, falls es damit Erfolg hat.

Gastkommentar von Shahriar Mandanipour

Die bekannteste Heldentat von Don Quijote ist der Kampf gegen die Windmühlen, aber wie er Marionettenfiguren zerschmettert, weil er sie für böse hält - das kennzeichnet seinen ebenso unschuldigen wie rasenden Zorn nicht weniger. Und nun stellen Sie sich vor, diese Marionetten erwachen zum Leben, ihre Rüstung ist also nicht länger hölzern, und sie sperren das Publikum ein, mit Ketten an den Gliedern - und zwingen es zum Spielen. Dieses Gleichnis zeigt, wie das iranische Volk seit fast einem halben Jahrhundert unterjocht wird.

Das Regime korrumpiert sogar die persische Sprache. In diesem absurden Dialekt werden die Wörter Freiheit, Wahl und Stimme in ihr Gegenteil verkehrt, sie werden grotesk.

Vor fast einem halben Jahrhundert trug sich in Iran ein historisches Ereignis zu. Je nach politischem Standpunkt nannte man es Aufstand, Revolte oder Revolution. Seitdem hat der Islamische Staat - ich verwende den Begriff bewusst - dem iranischen Volk schweres Leid zugefügt: entwürdigende Behandlung, Folter und Hinrichtung. Bei der Präsidentenwahl im Juni nun zielte er auf den einzig verbliebenden Schatz der Menschen, ihre Hoffnung. Diese will er verwandeln, in Enttäuschung und Kapitulation. Die gesteuerte Wahl war nicht einfach der Versuch, einer bestimmten Person - Ebrahim Raissi - zu einem Erdrutschsieg zu verhelfen. Sie war darauf angelegt, das Projekt "Hoffnungslose Verzweiflung" umzusetzen. Offensichtlich war, dass die Führung des Landes die Wahl zugunsten des bevorzugten Bewerbers zurechtgebastelt hat. Und zugleich war die klare Botschaft: "Ihr Leute! Früher hattet ihr die Wahl, zwischen schlecht und schlechter zu wählen. Jetzt werdet ihr für das Schlechteste stimmen."

Junge Menschen haben ihre Kreativität in die Kunst gelenkt. Und erleben dort Zensur

Stalin sagte über Wahlen: "Es sind nicht die Leute, die abstimmen, die eine Wahl entscheiden - sondern diejenigen, die die Stimmen zählen." In dieser Wahl gab das Regime die Illusion eines Wettbewerbs von Kandidaten auf, und auch das stalinistische Zählen. Indem der Wächterrat viele Bewerber erst gar nicht zur Wahl zuließ, machte er alles für Ebrahim Raissi bereit. Die implizite Botschaft lautete: "Der Schlächter eurer Tapfersten wurde im Namen eurer Stimmen erwählt." Und am Tag nach der Wahl lautete die Botschaft: "Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren", der Satz, der bei Dantes "Inferno" in die Tore der Hölle eingraviert war. Die politische Struktur von Iran gleicht einem Islamischen Staat wie jenem, in dem die Taliban in Afghanistan geherrscht haben.

Die rebellische Generation der 1970er, diese sentimentalen Idealisten, die den Traum von der Abschaffung der Monarchie nährten - sie sind nun alle entweder im Exil (zumindest im inneren), sie altern in der Isolation, oder sie sind tot. Die neue Generation in Iran ist realistischer als die ihrer Väter. Eine wachsende Zahl junger Leute hegt einen Groll gegen das Regime und erwartet einen Wechsel oder ein Wunder. Zugleich will man ein normales und zufriedenes Leben.

Dieses Regime hat den Leuten sogar ihre Religion genommen

Diese Menschen haben sich nicht auf einem Highway nach Utopia verloren. Sie wollen nur die islamische Dystopie loswerden und im globalen Dorf leben, wie jeder andere auch. Das Leben in einem theokratischen, totalitären Staat: Unter jungen Iranern führt es zu religiöser Ungläubigkeit. Es scheint, dass sie nicht an den Himmel glauben. Sondern sie wollen in diesem kurzen irdischen Leben das Glück testen.

Die jungen Iraner sind sich bewusst, dass Armut und Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr steigen - obwohl ihr Vaterland zu den fünf Ländern der Welt gehört, das die meisten natürlichen Ressourcen hat. Menschenrechtsverletzungen haben eklatant zugenommen. Junge Menschen haben ihre Kreativität in die Kunst gelenkt, stehen aber Zensur und Verboten gegenüber. Sie wollten die Demokratie und die Fertigkeiten für eine Zivilgesellschaft in Nichtregierungsorganisationen erproben. Diese sollen nun wegen Spionagevorwürfen geschlossen werden. Die Bedrohung besteht darin, dass sie ihr einziges Gut verlieren: die Hoffnung eben.

Man muss auf den Teufel hoffen, auf einen wie in Bulgakows Roman

In den vergangenen Jahren war diese Generation die tragende Kraft zweier großer, gewaltfreier Erhebungen. Beide wurden brutal niedergeschlagen, Gerichtsverhandlungen und harte Strafen für die Verhafteten dauern an. Junge Iraner empfinden sich als alleingelassen in der Welt. Einige westliche Länder haben die Niederschlagung der Proteste mit ihren politisch korrekten Floskeln verurteilt. Aber unklar ist, wie sie das islamische Regime hinter dem Rücken des Volkes unterstützen.

Wenn autoritäre Führer mit Aktionen auf der Straße und Guerillabewegungen konfrontiert sind, verstärken sie ihren Geheimdienst und stützen sich auf militärische Gewalt. Seit seiner Gründung hat der Islamische Staat rigide auf beide Formen der Unterdrückung gesetzt, und, schlimmer noch: Gleichzeitig hat er die noch radikaleren islamischen Geheimdienste und die islamischen Revolutionsgarden aufgebaut.

Genutzt hat das insofern nichts, als die junge Generation in Iran mit der Zeit alle Anhänglichkeit an die Revolution aufgegeben hat. Ihr geht es um eine pragmatischere Art des Lebens. Wie man technische Barrieren überwindet, das weiß sie. Das Internet ist für die Herrschenden das theokratische, totalitäre System des Teufels, so wie jede Entwicklung, die ihre Prinzipien untergräbt. Es ist dies aber nicht nur ein klassischer Teufel, ein Schaitan - sondern auch einer mit einem gewissen Sinn für Humor; so eine Art Voland der Satan, jene Hauptfigur in Michail Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita" von 1940, der die Autoritäten eines ideologischen Regimes lächerlich machte.

Jede App, die man herunterladen kann, öffnet jungen freiheitssuchenden Iranern eine Tür. Auf diese Weise werden sie quasi zu freien Journalisten, die berichten können über Unterdrückung und Korruption. Das satellitengestützte Internet wird der Albtraum des iranischen Staates werden. Die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit, Gleichheit und Würde ist das Letzte, was die Iraner aufgeben werden. Wird sie ihnen genommen, haben sie nichts mehr zu verlieren außer ihrem Leben. Und alles wird losgehen, an der erstbesten Polizeistation.

Shahriar Mandanipour ist einer der bekanntesten iranischen Schriftsteller. Er lebt in den USA. Die Taschenbuchausgabe seines Romans "Augenstern" erscheint im September im Unionsverlag. Aus dem Englischen von Detlef Esslinger.

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