Süddeutsche Zeitung

Parlamentswahlen in Frankreich:Schluss mit Drama

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzt darauf, Linke wie auch Rechte als Extreme zu stigmatisieren. Dabei ist sein Problem die eigene Unentschlossenheit.

Kommentar von Nadia Pantel

Interessiert man sich allein für das Ergebnis, das am Ende auf dem Papier steht, lautet die wichtigste Information nach dem ersten Wahlgang der französischen Parlamentswahl: Das Parteienbündnis hinter Emmanuel Macron wird die größte Gruppe in der Nationalversammlung stellen. Ob es für die absolute Mehrheit reicht oder nicht, wird sich erst im zweiten Wahlgang in einer Woche zeigen. Gleichzeitig ist die vom Linken Jean-Luc Mélenchon angeführte Nupes-Allianz daran gescheitert, Mélenchon als Premierminister zu platzieren. Die Nupes wird jedoch zur wichtigsten Oppositionskraft in der neuen Nationalversammlung.

Soweit die zu erwartende Sitzverteilung. Nun zur Stimmung. Sie ist mies. Die Mehrheit der Franzosen hat gestern gar nicht erst gewählt. Bei den unter 35-Jährigen waren es 70 Prozent. Als Emmanuel Macron 2017 zum Präsidenten gewählt wurde, beteuerte er, dass er den Bürgern das Vertrauen in die Politik zurückgeben werde. Fünf Jahre später, nach seiner freud- und inspirationslosen Wiederwahl in diesem Frühjahr und nach der von den Wählern verschmähten Parlamentswahl kann man feststellen: Frankreichs demokratische Kultur hat sich unter Macron nicht nur nicht erholt, sie hat sich verschlechtert.

Ein großer Teil der Minister und Berater um Macron ist dazu übergegangen, alles, was jenseits der eigenen Allianz stattfindet, als "Extremismus" zu bezeichnen. So sagte die neue Umweltministerin Amélie de Montchalin, der linke Mélenchon wolle "nicht die Macht, sondern Anarchie". Und die Regierungssprecherin Olivia Grégoire weigerte sich am Wahlabend, die Bürger dazu aufzurufen, in der zweiten Abstimmungsrunde Front gegen die Rechtsextremen zu machen. Denn, so der Subtext: Die Nupes-Allianz hinter Mélenchon sei genauso anti-republikanisch wie Marine Le Pens Rassemblement National.

Jean-Luc Mélenchon mag ein Populist sein, aber er ist der republikanischen Tradition verpflichtet

Das ist erstens nicht wahr und zeugt zweitens von einem bemerkenswert schwachen Erinnerungswillen. Macron bekam dank der Stimmen der Mélenchon-Wähler eine zweite Amtszeit, weil diese sich in republikanischer Tradition mehrheitlich verpflichtet sahen, Le Pen als Präsidentin zu verhindern. Mélenchon ist ein Populist, er ist oft aggressiv und seine europa- und außenpolitischen Ansichten, die vor allen Dingen auf USA-Hass basieren, scheint er seit den 80er-Jahren nicht überarbeitet zu haben. Aber Mélenchon ist nicht der Erbe einer faschistischen Partei wie Le Pen.

Statt an der permanenten Dramatisierung der öffentlichen Debatte zu arbeiten (frei nach dem Motto: Wenn wir verlieren, geht das Land unter), sollte sich das Macron-Team auf eine Stärkung der bestehenden demokratischen Institutionen konzentrieren. Macron hatte die längst überfällige Reform des Wahlrechts versprochen. Und nicht umgesetzt. Stattdessen experimentierte er mit Formaten der direkten Demokratie, die zu nichts führten. So zum Beispiel sein Bürgerkonvent fürs Klima. Hätte Macron tatsächlich Mut oder auch nur ein wenig Entschlossenheit in der Klimapolitik bewiesen, wäre die Nupes-Allianz heute weniger stark. Und würde er endlich die Wahlrechtsreform angehen, müsste Le Pen ihre Märtyrer-Rolle aufgeben. Sie müsste dann tatsächlich in der Nationalversammlung mitarbeiten, statt sich als verhinderte Retterin der Abgehängten zu präsentieren.

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