Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Geht doch!

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Die Bundesnetzagentur meldet einen neuen Rekord beim Ökostrom. Doch auch der ist nur ein Zwischenschritt: Das Potenzial ist nach wie vor riesig - und der Bedarf an sauberer Energie wächst.

Von Michael Bauchmüller

Es ist noch gar nicht so lange her, da galt Ökostrom als Garant für Blackouts. Je mehr von dem schwankenden Strom in den Leitungen lande, so fürchteten viele, desto unsicherer werde die Versorgung. Auf die großen Kraftwerke mit ihren schwingenden Massen werde man nie ganz verzichten können.

Am Wochenende hat die Bundesnetzagentur neue Zahlen über den erneuerbaren Strom in deutschen Netzen vorgelegt. Demnach stellte die grüne Energie im vorigen Jahr, jawohl, fast die Hälfte des Stroms - so viel wie nie zuvor. Gleichzeitig standen jüngst Kohlekraft-Betreiber Schlange, als Prämien für die Stilllegung von Kraftwerken versteigert wurden, und für die Atomkraft hat hierzulande das vorletzte Jahr begonnen. Die Energiewende, sie rollt. Aber ein Selbstläufer ist sie noch nicht.

Das liegt nicht allein an den zähen Verfahren, die vielerorts den Bau neuer Windparks erschweren. Viele Hausbesitzer ahnen schlicht nicht, welches - auch wirtschaftliche - Potenzial sie auf ihren Dächern verkommen lassen - nicht nur bei Einfamilienhäusern auf dem Land, sondern auch auf Mietshäusern in der Stadt. Privater Solarstrom lohnt sich, und das vor allem für alle, die ihn für den eigenen Bedarf nutzen. Wer etwa damit die Wärmepumpe antreibt oder das Elektroauto lädt, wer seine Mieter mit Strom vom eigenen Dach versorgt, der entkoppelt sich und andere nicht nur von Energiemärkten. Der oder die tut auch mehr fürs Klima als auf hundert Demos.

Das freilich macht auch jede Erfolgsmeldung aus dem Stromnetz zum moving target. Denn auf dem Weg zur Klimaneutralität ist der erneuerbare Strom der Schlüssel: Er soll Elektroautos antreiben und damit einen großen Teil der individuellen Mobilität schultern. Er lässt sich als Wärme speichern und kann so fossiles Öl und Gas zunehmend aus Heizungskellern verdrängen. Er lässt sich per Elektrolyse in Wasserstoff wandeln und damit auch die neue Wunderwaffe der Klimapolitik stellen: Jenen grünen Wasserstoff, der dereinst Flugzeuge, Schiffe und Lastwagen, ja selbst Stahlwerke antreiben soll. Wenn es einen industriellen Wohlstand ohne die Emissionen fossiler Energien und ohne nukleare Risiken geben soll, führt an Ökostrom kein Weg vorbei.

Das alles wird den Strombedarf in den nächsten Jahren weiter wachsen lassen. Schon um den bisher erreichten Anteil erneuerbaren Stroms zu halten, wird es mehr Windräder und Solaranlagen brauchen - und noch viel mehr, um ihren Anteil am deutschen Strommix bis 2030 auf 65, 70 oder 75 Prozent zu steigern. Und nach allem, was die Europäer sich für den Klimaschutz vorgenommen haben, werden 65 Prozent nicht ausreichen, wie sie Union und SPD bisher anpeilen. Die neue Dekade muss eine Dekade des grünen Stroms werden.

Das alles wird nicht einfach. Noch fehlen vielerorts ausreichend starke Netze. Es werden viel mehr Speicher nötig, um Überschüsse an Energie zu parken. Es muss noch mehr geschehen, um Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen; das Netz also genau in jenen Stunden und Minuten von verzichtbarem Verbrauch zu entlasten, in denen der Wind abflaut oder die Sonne nicht scheint. Das grüne Stromsystem funktioniert anders als das graue.

All das muss zum Glück nicht von heute auf morgen passieren, sondern es entwickelt sich; auch übrigens mit dem Zutun dieser Bundesregierung. Und wer würde heute noch sagen: alles völlig unmöglich?

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