Süddeutsche Zeitung

Profil:Der einsame Vorreiter

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Unternehmer Martin Behmann hat einen kostenlosen digitalen Impfpass entwickelt. Das Problem ist nur: Die Politik interessiert sich nicht wirklich dafür.

Von Helmut Martin-Jung

Eigentlich ist Martin Behmann, 64, passionierter Langstreckenläufer. Doch in der Corona-Pandemie hat der Geschäftsführer des Magdeburger Unternehmens Alive Service einen Sprint hingelegt. Von der ersten Idee für einen digitalen Impfpass im Dezember 2020 dauerte es bis zum Start des Betriebs im Landkreis Ebersberg nahe München am 19. April nur ein paar Monate. Mehr als 10 000 Bürger haben seither bereits ihre Erst- oder Zweitimpfung mit dem System dokumentiert. Doch obwohl sein System bereits funktioniert und sicher konzipiert sei - die Politik habe bisher kaum Interesse gezeigt.

"Was wir mal waren, ein Technologie-Land, das geht mehr und mehr verloren", sagt Behmann. Als er in der Firma und im Kreise seiner großen Familie - er hat fünf Kinder und bereits fünf Enkel - über das Problem mit dem Impfpass sprach, war ihm klar: "Das Ganze kann nur funktionieren, wenn man es kostenlos anbietet." Mehr als eine halbe Million Euro hat Behmann schon in das Projekt gesteckt. Seine Frau, eine Ärztin mit eigener Praxis, war nicht sonderlich begeistert: "Du spinnst ja", soll sie zu Behmann gesagt haben, erzählt der, "zum Glück haben wir getrennte Kassen."

Fachfremd ist Behmann natürlich nicht. Seine Firma ist auf dem Gebiet von medizinischen Daten schon viele Jahre unterwegs, allein 35 Krankenkassen sind Kunden des Unternehmens, das etwa 60 Mitarbeiter beschäftigt. Man ist es dort gewohnt, dass aufwendige und teure Zertifizierungsprozesse zu durchlaufen sind, bevor man die Erlaubnis der Behörden erhält, derart sensible Daten zu speichern und zu verarbeiten.

Die Bürger können ihren Impfnachweis über den Browser abrufen

Diese Erfahrung sei in den digitalen Impfnachweis geflossen, sagt Behmann, er habe sich dabei vom TÜV Nord und dem Zertifizierungsunternehmen DQS beraten lassen. Zu dem Nachweissystem gehört ein sogenanntes Backend-System, das im Hintergrund läuft und in das ausschließlich autorisierte Stellen wie Impfzentren oder Ärzte Daten eintragen dürfen. Zur Identifizierung dient dabei die Nummer von Personalausweis oder Reisepass, die jeweils weltweit einmalig ist.

Die autorisierten Stellen erfassen, ob es sich um eine Erst- oder Zweitimpfung handelt, das Datum und die Charge des verwendeten Impfstoffs. Gespeichert werden die Daten in einem zertifizierten Rechenzentrum. Die Bürger rufen ihren Impfnachweis über eine Browseranwendung ab. Auch Apps sind eigentlich schon fertig, sie wurden Behmann zufolge von den App Stores von Google und Apple aber noch nicht freigegeben. Über den Browser funktioniere der Nachweis aber auch auf jedem Smartphone.

"Unser Problem ist: Wir sind nicht bekannt."

Um den Nachweis abzurufen, müssen die Nutzer ein Konto anlegen, bei dem nur die Angabe der Ausweisnummer verpflichtend ist. Sie können dann einen QR-Code abrufen. Diesen Code können beispielsweise Geschäftsinhaber oder Restaurantbetreiber mit derselben Anwendung scannen und erfahren in Sekunden, ob der Handybesitzer eingelassen werden kann oder nicht. Aus Sicherheitsgründen ist der Code nur 60 Sekunden lang gültig - er kann also nicht kopiert und von anderen genutzt werden.

Das eigene System sei verfügbar, kostenfrei und auch kompatibel mit dem kommenden EU-weiten digitalen Impfpass-System, sagt Behmann. Das Millionen Euro teure deutsche System, das unter der Führung des IBM-Konzerns entstehen soll, ist dagegen noch nicht fertig, der Termin dafür unklar. "Unser Problem ist: Wir sind nicht bekannt", klagt Behmann. Von der Politik hat er kaum Resonanz erhalten, das Bundesgesundheitsministerium habe bloß mitgeteilt, das müsse man sich mal ansehen. "Gehört habe ich seitdem nichts mehr", sagt er. Immerhin: Am Freitag wollte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek das Ebersberger Impfzentrum besuchen. Und Behmann plante natürlich dabei zu sein: "Dann machen wir heute mal Action."

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