Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Pinkel

Für die einen ein exportwürdiges Kulturgut des Nordens, für die anderen eher eine kulinarische Mutprobe.

Von Ralf Wiegand

Es gibt Speisen, die möchte man nur deswegen verputzen, weil sie so schön klingen. Kaiserschmarrn. Butterwölkchen. Grießnockerl. Und es gibt Nahrungsmittel, die schon an den Ohren so schwer ankommen, wie sie später im Magen liegen könnten. Schimmelkäse. Saure Nierchen. Pinkel. In Norddeutschland wird diese Spezialität auf Kohlfahrten gerade tonnenweise verzehrt. Menschen treffen sich zu einer langen Wanderung mit allerlei Trinkspielen, Ziel ist ein Gasthof. Dort gibt's dann Kohl satt, weichgekochte, nach dem ersten Frost geerntete Blätter mit reichlich Fleischbeilage. Dazu zählt die Pinkel, eine in festen Darm gepresste Grützwurst, die man aus der Hülle drückt und unter den Kohl rührt, was ihn geschmeidig macht. Der Darm hat - vermutlich - auch den Namen verschuldet, man nannte ihn einst Pinkel. Die grobkörnige Wurst besteht in der Regel aus Hafergrütze, Speck, Zwiebeln, und ja, auch aus Nierenfett. Die Kohlfahrtsaison, vom Buß- und Bettag bis Gründonnerstag, ist der Karneval des Nordens, also ein exportwürdiges Kulturgut. Die Nordländer tragen zwecks Völkerverständigung ihre Kohl- und Pinkelschlachten auch alljährlich in ihren Dependancen in Berlin aus - am Montag sollte Finanzminister Christian Lindner beim "Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten" in der niedersächsischen Landesvertretung zur Kohlmajestät gewählt werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5745920
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.