Süddeutsche Zeitung

Zeitschriften:Ich und ich

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Weniger Realität, mehr Gefühl: Wie neue Magazine zum achtsamen Umgang mit sich selbst aufrufen dabei helfen wollen, in einer irren Welt lieber bei sich selbst zu bleiben.

Von David Pfeifer und Katharina Riehl

Die alles entscheidende Frage stellt das Magazin Happy Way auf Seite 26. Unter der Rubrik "Frag den Philosophen" heißt es dort in Weiß auf Blassblau: "Bin ich der wichtigste Menschen in meinem Leben?" Dass der Philosoph Dr. Quarch, ein "Denker aus Leidenschaft", die Frage mit Nein beantwortet, ist die größte Überraschung in der pastellfarbenen Zeitschrift aus dem Klambt-Verlag, fordert sie ihre Leserinnen doch nur zwei Seiten vorher auf, "den tollsten Menschen der Welt" kennenzulernen: "Dich selbst". Ein bisschen erinnert das an einen Satz, der Woody Allen zugeschrieben wird: Onanie sei wenigstens praktizierte Liebe mit jemandem, den man wirklich gerne mag. Der Satz gehört in etwas anderer Form auch ins Repertoire der Paar- und Sexualtherapeuten. Irgendwo zwischen: Lieb dich selbst, sonst liebt dich keiner - und dessen freundlicherem, siamesischen Zwilling: Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben.

Das sind die Weisheiten, an die man denken muss, wenn man all die vielen Magazine durchblättert, die gerade eine der großen Hoffnungen der dauergebeutelten Magazinbranche sind. Happinez , Flow , Happy Way, Ma Vie, Herzstück und so lebensbejahend weiter heißen die Hefte, denen der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger mittelfristig eine Gesamtauflage von einer Million zutraut - und die einer "weiblichen Kernzielgruppe im Alter von 25 bis 45 Jahren" auf sehr vielen Seiten Ratschläge für einen liebevolleren Umgang mit sich selbst gibt. Das ist gar nicht weiter schwer, wenn man nur die Kräfte des Unterbewusstseins nutzt ( Happinez), Kraft aus seinen Wurzeln schöpft ( Herzstück), mit einer aromatischen Tasse Tee dem Alltäglichen entflieht ( Ma Vie) o der bewusst atmet und lange Spaziergänge macht ( Flow - Ein Übungsbuch).

Mindstyle-Magazine oder, je nach Anglizismusfreude der Verlage, Zeitschriften zu "Awareness" oder "Achtsamkeit" sind gerade das, was vor Kurzem noch die Landlust mit all ihren Nachfolgern war: ein fast garantierter Auflagenerfolg. Der Marktführer Happinez verkauft aktuell mehr als 140 000 Exemplare pro Ausgabe, weit mehr als etwa Neon. Alle paar Wochen erscheint ein neuer Titel oder zumindest eine Sonderausgabe einer schon existierenden Frauenzeitschrift. Be aware.

Awareness ist der Modebegriff in den USA, der sich tatsächlich aber nur unzureichend mit Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit übersetzen lässt. Moderne Menschen, die einen Entsafter für daheim, eine Yoga-Matte für unterwegs und viele Botschaften für die Welt da draußen parat haben, beginnen ihre Sätze gerne mit dem Vorschub "Are you aware ...?" Im Gegensatz zu "Wusstest du schon?" wird also gefragt "War dir bewusst?" Eine feine Unterscheidung mit großer Tragweite. Das Bewusstmachen ist viel mehr als das bloße Begreifen von Fakten. Es ist der Versuch, einen Gedanken nicht nur aus Logik und Fakten zu formen, sondern alles, was Gefühle und Moral hergeben, miteinfließen zu lassen.

Dagegen wäre erst einmal nichts einzuwenden, wenn die Denkergebnisse dadurch tiefer und komplexer würden. Tatsächlich aber wird auf diese Weise dem Gefühligen meistens sehr großes Gewicht gegeben, zu Lasten der Realität. Zum angeblich angebrochenen postfaktischen Zeitalter jedenfalls bieten diese Magazine eine durchaus passende Lektüre.

Am Dienstag der vergangenen Woche lud der Hamburger Bauer-Verlag, mit seinem Titel Happinez einer der achtsamsten unter den Achtsamen, zu einem Mittagessen in München. Vor Hummus und Quiche gab es einen kleinen Vortrag des Diplompsychologen Stephan Grünewald vom Marktforschungsinstitut Rheingold, und wenn man ihm so zuhörte, war einem eher nach Schnaps als nach aromatischem Tee zumute. Grünewalds Projektor warf folgende Begriffe an die Wand: Orientierungslosigkeit, Verdrossenheit, erodierende Verlässlichkeit und Selbstversklavung. So empfinden die Deutschen heute ihr Leben. Und deshalb lesen sie so gerne diese Hefte, die sie darüber hinwegtrösten. Titelzeile der aktuellen Happy Way: "Du bist einfach wunderbar." Wenn mich sonst schon niemand so richtig toll findet, dann wenigstens dieses Magazin.

Kernzielgruppe der Hefte sind allem Anschein nach Frauen, die sich vom Leben eher schlecht behandelt fühlen - im Allgemeinen, vom Partner und von den Sternen. Vor lauter Sorge, schlecht behandelt zu werden, kommen sie schon schlecht gelaunt zur Türe rein und fordern gleich zu Beginn besondere Aufmerksamkeit; erfolgt diese nicht, haben sie natürlich gleich den ersten Grund, sich wirklich schlecht behandelt zu fühlen. So geht das immer weiter.

Das klingt vielleicht wie ein Klischee, tatsächlich aber berichtet die Marktforscherin beim Bauer-Lunch voller Respekt von den selbstbewussten Happinez-Leserinnen, die beim Betreten des Befragungsraums immer gleich gesagt hätten, wenn ihnen die Klimaanlage zu kalt war oder das Getränk fehlt.

Gegen das Gefühl, ständig zu kurz zu kommen, geht nun also ein ganzer Regalmeter Zeitschriften an. Viele der Magazine sehen kitschig aus, andere sind hübscher, vor allem die Zeitschrift Flow aus dem Verlag Gruner + Jahr. Diese ist äußerlich wie inhaltlich dekorativ und hat dabei quasi ein neues Textgenre erfunden: die gefühlsbetonte Bastelanleitung. Derzeit liegt von Flow auch noch "Achtsamkeit: Ein Übungsbuch" am Kiosk, mit dessen Hilfe man zum Beispiel aus festem Naturpapier "Schöne-Momente-Kärtchen" basteln kann. Ausmalbögen finden sich im Heft auch, Happinez gab im Januar "Das Achtsamkeitsmalbuch für mehr Entspannung" heraus. Ausmalhefte für Erwachsene gehören schon seit Längerem zu den beliebtesten Weltflucht-Hobbys.

Obwohl der Psychologe vom Rheingold-Institut das Weltgeschehen für den Boom der Magazine verantwortlich macht, kommt dieses Weltgeschehen bemerkenswerterweise in keinem der Magazine vor. Noch nicht mal drängende Frauenthemen werden angesprochen, obwohl es sich doch eindeutig um Frauenmagazine handelt. Gleichstellung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Nein heißt Nein? Zu belastend. Zu schwierig. Zu komplex. Stattdessen: das Buddha-Horoskop, Mond-Yoga, wilde Kräuter, poetische Collagen aus Wortschnipseln und ein Lampenschirm zum Selberbasteln.

Happinez, Herzstück und die anderen Buddha- und Bastelmagazine haben Themen der Lebensrealität konzeptionell verbannt und bieten stattdessen eine gute Tasse Tee am Rand einer mit Kerzen dekorierten Badewanne. Das alles ist betextet in diesem Paolo-Coelho-Timbre, also so: "Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens. Stille ermöglicht dem Ton das Sein. Sie ist der unmanifeste Anteil, der jedem Geräusch zutiefst angehört, jeder Note, jedem Lied, jedem Wort." (Happinez)

Vorabdrucke und Zitate des spirituellen Bestsellerautors finden sich übrigens tatsächlich flächendeckend in den Heften, noch öfter als die vom Dalai Lama. Der Weg zum wirklich handfesten esoterischen Unfug ist da nicht weit, im selben Regal wie die Mindstyle-Zeitschriften liegt etwa das Engel Magazin, das weiß, dass Singen die Seele befreit, aber auch von einem Menschen berichtet, der gerade schon zum vierten Mal auf der Welt ist.

Die Hefte passen zu einer Zeit, in der Wortkonstrukte von iPhone bis Me-Time Konjunktur haben

Nachfrage bei Sinja Schütte, Chefredakteurin der Zeitschrift Flow, deren Heft im Vergleich zu den anderen übrigens sehr esoterikfrei am Kiosk liegt, und die auf die Frage nach dem Zeitgeist hinter diesen erfolgreichen Zeitschriften Folgendes sagt: Der gesellschaftliche Trend finde sich nicht nur bei ihr im Heft, "auch hinter Landlust und ihren Nachahmern steht der Wunsch nach Ruhe und Entschleunigung". Der Spiegel sei kürzlich sehr erfolgreich gewesen mit dem Titel "Leg doch mal das Ding weg" über die Wirkung von zu viel Smartphone-Nutzung im Leben. Ganz falsch ist diese Diagnose allgegenwärtiger Entschleunigung freilich nicht, sogar die bürgerliche Hamburger Wochenzeitung Die Zeit hat erst kürzlich unter dem Titel "Z - Zeit zum Entdecken" der schön geschriebenen Selbstbespiegelung und der achtsamen Freizeitgestaltung Ressortstatus verliehen.

Ganz wahr aber ist es auch nicht, denn Happinez, Flow und all die vielen anderen sind mehr als nur Landlust mit weniger Kürbis. Die Achtsamkeitsmagazine sind noch viel näher dran am Zeitgeist: Denn während Landlust und die sich immer weiter diversifizierenden Kochmagazine noch davon ausgehen, dass man sein Glück darin findet, die Welt für sich und für andere schöner zu gestalten, adressieren die Awareness-Hefte nur noch das Ich. So gesehen sind sie ganz am Puls einer Entwicklung der vergangenen Jahre, in denen Wortkonstruktionen mit "i" für "ich" oder "me" für "mich" Konjunktur haben. Vom iPhone bis zur Me-Time.

In der schönen Romanreihe Per Anhalter durch die Galaxis gibt es den Präsidenten der Galaxis, Zaphod Beeblebrox. Er ist ein eitler, zweiköpfiger, egozentrischer und heutzutage würde man sagen: narzisstisch gestörter Charakter. Und es gibt eine besonders brutale Strafe für Personen wie ihn, die beispielsweise das Flaggschiff der Sternenflotte stehlen. Beeblebrox soll in eine Box steigen, die ihm für einen kurzen Moment die Weite des Universums im Vergleich zur eigenen Größe klarmacht. Die meisten Bestraften entsteigen dem schrankgroßen Apparat mit gebrochener Seele. Nur Zaphod Beeblebrox kommt fröhlich pfeifend wieder raus, völlig eins mit sich und dem Universum.

Womöglich ist das der Trick dieser Magazine. Das Ich so weit zu vergrößern, dass es ein komplettes Heft füllt, in dem man auf jeder Seite eigentlich nur sich selber findet.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2016
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