Süddeutsche Zeitung

Ukrainische Medien:"Wir bleiben bis zur letzten Minute"

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Angelina Kariakina leitet in Kiew die Nachrichtenredaktion des öffentlich-rechtlichen Senders Suspilne. Ein Gespräch über den Krieg, Berichte über Telegram und ausbleibende Panik.

Interview von Lisa Oppermann

Angelina Kariakina leitet seit 2020 die Nachrichtenredaktion von Suspilne, dem öffentlich-rechtlichen Sender der Ukraine. Inhaltlich ist der Sender von der Regierung unabhängig, sie legt aber die Finanzierung fest. Suspilne gilt seit Jahren als unterfinanziert - und wird unterstützt mit EU-Geld, von der BBC Media Action und der Deutschen Welle. Vorher war Kariakina Chefredakteurin des kleinen, unabhängigen Senders Hromadske TV, im Zuge des Euromaidans gegründet, als 2013/2014 Hunderttausende Ukrainer gegen das Regime des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch protestierten. Am Tag der russischen Kriegserklärung gegen die Ukraine hat sie nur wenige Minuten Zeit am Telefon.

SZ: Plötzlich ist Krieg im eigenen Land: Wie erleben Sie das als Journalistin?

Angelina Kariakina: In dem Moment, in dem wir gehört haben, dass Putin unserem Land den Krieg erklärt, sind wir alle in die Redaktion geeilt. Seitdem - drei, vier Uhr morgens - senden wir live. Uns erreichen immer wieder Nachrichten von Angriffen auf strategische Objekte im ganzen Land, unterschiedliche Städte, unterschiedliche Regionen. Und Nachrichten über Menschen, die umgebracht wurden: Militär, Zivilisten, in einigen Regionen auch Kinder. Deswegen versuchen wir gerade einfach nur zu verstehen, wie schlimm es wirklich ist.

Ihre Redaktion ist in Kiew. Wie ist gerade die Atmosphäre in der Hauptstadt?

Wir sind im Stadtzentrum, im Regierungsviertel. Ab und zu gibt es einen Alarm, der vor einem Luftangriff auf Kiew warnt. Dann müssen wir runter in die Keller und warten. Im Moment haben wir immer noch am meisten Angst um Charkiw, Odessa und Cherson, die verletzlichsten Regionen. Aber es gab auch Berichte, nach denen russische Helikopter in einer kleinen Stadt nahe Kiew gesichtet wurden, die aus der Luft auf den Flughafen schossen. Viele Menschen versuchen deswegen, Kiew zu verlassen. Bisher gibt es zwar noch keine Panik in der Stadt, aber trotzdem wollen viele Menschen weg. Es gibt Staus auf den Straßen, die aus der Stadt herausführen. Einige versuchen, zu ihren Familien im Westen oder irgendwo anders hin zu fliehen. Aber das Problem ist: Wir wissen nicht, wo in der Ukraine es wirklich sicher ist.

Wie kommen Sie an gesicherte Informationen?

Es ist sehr schwierig. Wir haben Statements vom Präsidenten, vom Verteidigungsminister, vom Außenminister. Und wir haben Büros im ganzen Land und wir berichten live, was in Odessa passiert, was in Charkiw passiert, in Tschernihiw. Menschen hören Radio, sehen fern, informieren sich über Social Media. Gerade haben wir noch all diese Ausspielwege - alles funktioniert mehr oder weniger. Manchmal bricht das Netzwerk zusammen und die Handys sind schwer zu erreichen, aber die Menschen versuchen, sich auf dem Laufenden zu halten. Eine der beliebtesten Informationsquellen in der Bevölkerung ist Telegram. Unser Telegram-Kanal wächst gerade immens. Abertausende Menschen abonnieren den Kanal, um den Nachrichten zu folgen. Und viele gucken live zu, seit vier Uhr morgens.

Wie ist die Stimmung in der Redaktion?

In der Redaktion sind alle sehr mobilisiert. Natürlich machen sich die Menschen Sorgen um ihre Familien. Aber ich glaube: Die Arbeit und das Bewusstsein, dass wir das hier für Millionen Menschen machen, bewahrt uns vorm Durchdrehen und macht uns ruhig und professionell. Es herrscht keine Panik.

Wie sehen die kommenden Tage und Wochen für Sie aus?

Es ist unser Job, Nachrichten zur Verfügung zu stellen. Und das tun wir, so lange wir es physisch können. Wir haben keinen anderen Plan als: berichten, berichten, berichten. Aber natürlich - wenn das aus Kiew unmöglich wird, müssen wir umplanen und aus einer anderen Stadt berichten. Aber bisher sind alle von uns hoch motiviert und mobilisiert. Und wir bleiben bis zur letzten Minute.

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