Süddeutsche Zeitung

"The Jinx":Verdachtsfall

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In der preisgekrönten Doku-Serie soll der Immobilienerbe Robert Durst ein Mordgeständnis abgelegt haben, das könnte im Herbst vor Gericht eine Rolle spielen. Allerdings drängt sich die Frage auf: Gingen die Macher zu weit?

Von Willi Winkler

Es gibt erkennbar mehr reiche Erben, als sich die normale Schulweisheit träumen lässt. Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber ihr väterliches oder mütterliches Erbe ernährt sie doch. Nicht jeder wird gleich US-Präsident, der eine oder andere aber doch Mörder. Robert A. Durst, von Beruf Erbe eines New Yorker Immobilienunternehmers, steht seit Langem im Verdacht, drei Menschen umgebracht zu haben, darunter seine erste Frau. Einen Nachbarn hat er fachgerecht zersäbelt, er wurde auch verurteilt dafür, allerdings nur wegen unsachgemäßer Entsorgung einer Leiche.

Das ist der Stoff, aus dem sonst gruselige Schnitzelfilme sind. Tatsächlich entstand bereits im Jahr 2010 für die Streamingplattform Netflix der Film All Good Things (der in der deutschen Fassung merkwürdigerweise All Beauty Must Die heißen musste) mit Ryan Gosling als Robert Durst und Kirsten Dunst als seiner Frau Kathie. Goslings irisierende Präsenz erhöhte den Täter zu literarischer Größe; es war, als hätte Dostojewski am Drehbuch mitgewirkt. Trotzdem konnte sich der Zuschauer noch immer darüber empören, dass David Marks (wie Durst hier genannt wird) mit mehrfachem Mord davonkommt. Im Kino fiel der Film durch.

Marks-Durst wird als Opfer seiner reichen Familie dargestellt: Der Vater habe ihn zum Zeugen gemacht, als die Mutter vom Dach sprang. Diese gehobene Version seiner Geschichte gefiel ihm offenbar selber so gut, dass Durst Kontakt zum Regisseur Andrew Jarecki aufnahm und sich bereitfand, in einer weiteren, diesmal dokumentarischen Version seiner eigenen Geschichte mitzuwirken. The Jinx: The Life and Deaths of Robert Durst erzählte sie in sechs Folgen, die 2015 auch auf Sky unter dem deutschen Titel Der Unglücksbringer: Das Leben und die Tode des Robert Durst zu sehen waren.

Das Genre True Crime wurde damit aus der Sphäre des sadistischen Schwelgens in menschlichen Abgründen auf eine neue Ebene gehoben, auf der sich Dokumentarrealismus und literarische Methode aufs Angenehmste vermählten, oder anders: Das echte Verbrechen wurde noch echter und die Form beglaubigt durch das scheinbare Geständnis des Unhelden. Der superlativistisch aufgelegte Kritiker des Magazins Esquire erlebte "einen der atemberaubendsten Momente der Fernsehgeschichte", denn Durst schien die Morde in der Serie live zuzugeben. Mit einem nach wie vor eingeschalteten Mikrofon am Hemdkragen marschierte Durst von der Kamera weg auf die Toilette, wo er unter anderem folgende Sätze vor sich hin murmelte: "What the hell did I do?" und "Killed them all, of course." (Verdammt, was hab ich bloß gemacht? Natürlich hab ich alle umgebracht.) Noch vor Ausstrahlung der letzten Folge erschien die Polizei in seinem Hotel in New Orleans, nahm ihn fest und überstellte ihn nach Kalifornien. Die Familie, die viele Jahre unter dem nie ganz verlorenen Sohn gelitten hatte, zeigte sich erleichtert. Case closed, oder?

Im Prä-Relotius-Zeitalter hätte es sich um einen journalistischen Glücksfall sondergleichen gehandelt, den Scoop, für den jeder Reporter von Ehre seine jung gebliebene Großmutter verkauft hätte. Praktischerweise erfüllte sich nämlich neben dem echten Verbrechen ein weiteres klassisches Genre: dass es der private Ermittler und erst recht der unabhängige Journalist besser kann als die Polizei. The Jinx war pulitzerpreisverdächtig und erhielt immerhin zwei Emmys, einen Peabody und Anerkennung von allen Seiten. Die Miniserie steht seither im Ruf, ein erstes Meisterwerk im linearen Erzählen zu sein, ein Muster der neuen Streaming-Ästhetik, Doku besser als jede Fiktion. Das Gerichtsverfahren, das am 3. September beginnen soll, fügt sich in dieser Logik dem Drehbuch. Wie die New York Times jedoch inzwischen anhand des Wortprotokolls nachweisen konnte, haben Jarecki und seine Co-Produzenten das angebliche Geständnis Dursts manipuliert. Es klang deshalb so eindeutig, wie es gar nicht formuliert war. Auch wenn fast alles dafür spricht, dass Robert Durst die Taten begangen hat, deren er verdächtigt wird, gibt es doch erhebliche Zweifel daran, dass er sie dem Doku-Mikro tatsächlich gestanden hat.

In der Abschrift, die die Staatsanwaltschaft dem Gericht vorgelegt hat, folgen die beiden Sätze, mit denen sich Durst angeblich selber bezichtigt, keineswegs aufeinander. Die Produzenten haben ein bisschen nachgeholfen, die Reihenfolge umgekehrt und alles weggelassen, was Durst sonst noch an Unverständlichem und Unzusammenhängendem gemurmelt hat. So verführerisch es ist, das "Was hab ich bloß gemacht?" als Ausdruck des Entsetzens zu deuten, das den Mörder ob seiner Taten packt, es könnte ebenso gut ein Stoßseufzer und die späte Erkenntnis sein, dass Durst lieber nicht mit den Filmleuten gesprochen hätte. Killed them all - auch wenn er das gesagt hat, muss es kein Geständnis sein, mit Sicherheit ist es aber das, was dieses Doku-Drama insinuiert.

Damit stellt sich unweigerlich die Frage der journalistischen Redlichkeit, erst recht nach der Relotius-Affäre. Jarecki und seine Mitarbeiter haben nach dem Heimwerkerprinzip "Was nicht passt, wird passend gemacht" dramatisiert. Das ist noch kein Verbrechen, doch sollte damit nichts verfälscht werden. "Gute Journalisten und Dokumentarfilmer wissen (oder sollten wissen), wie man in fairer Weise wiedergibt, was jemand gesagt hat", hat Rick Goldsmith erklärt, dessen Film über den Whistleblower Daniel Ellsberg ebenfalls gepeabodyed und 2010 für einen Oscar nominiert wurde.

Der echte, nicht der dokufiktionale, Robert Durst ist allem Anschein nach psychisch gestört. Das allein reicht vielleicht zu einem erfolglosen Spielfilm, deshalb ist die Versuchung groß, nicht bloß zu dramatisieren, sondern gleich Staatsanwalt und Richter in Personalunion zu spielen, um einen Mörder sachgerecht zu verurteilen. Denn die Geschichte ist einfach zu gut: ein dubioses Immobilien- oder vielmehr Miethaiunternehmen im Hintergrund, ein schwarzes Schaf, eine praktischerweise gespaltene Persönlichkeit, Gesellschaftskritik an den besseren Kreisen, das immer wieder merkwürdige amerikanische Rechtssystem, in dem die Reichen gern davonkommen. Für die Serie wurde daher aus dramaturgischen Gründen der uralte Rechtsgrundsatz außer Acht gelassen, wonach im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu urteilen ist. Sonst wäre, zugegeben, The Jinx weit weniger spektakulär ausgefallen, und - stoßgeseufzt zu Sankt Relotius - ob es dann die ganzen Preise gehagelt hätte?

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SZ vom 20.05.2019
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