Süddeutsche Zeitung

"Tatort"-Wiederholung aus München:"Wir haben hier ein Eidechsen-Problem"

Lesezeit: 2 min

Eine Küche ohne Krümel, ein verschwundenes Kind und zwei befreundete Familien: "Lass den Mond am Himmel stehn" erzählt eine laute und eine leise Geschichte. Und ist hundsgemein.

Von Theresa Hein

Diese Rezension wurde zur Erstausstrahlung des Tatorts am 7. Juni 2020 veröffentlicht. Nun wird der Fall im Ersten wiederholt, weswegen wir den Text erneut publizieren.

Es gibt ihn also noch, den Tatort ohne Fehlbesetzung, "Lass den Mond am Himmel stehn" ist so einer. Okay: Eine Fehlbesetzung vielleicht: die Arbeitsplatte der Küche. Entschuldigung, aber welche Küchenoberfläche einer Familie mit zwei Kindern zwischen 13 und 17 Jahren ist über Tage hinweg derart krümelfrei?

Von den sauberen Küchen mal abgesehen ist dieser Münchner Tatort ziemlich gut. Natürlich vergehen keine drei Kameraeinstellungen, dann sieht man schon den Pool, ohne den offensichtlich keine Münchner Familie existieren kann. Aber dann geht es los, und wie. Die Drehbuchautoren (Stefan Hafner und Thomas Weingartner) und der Regisseur (Christoph Schier) erzählen nämlich nicht nur eine Geschichte, sondern mindestens zwei. Die eine Geschichte ist dankbares Klischee-Krimi-Narrativ: Der 13-jährige Emil Kovavic kommt abends nicht nach Hause, kurz darauf wird seine Leiche in der Isar gefunden, sein Fahrrad bei einem Parkplatz für anonymen Sex. Und die andere Geschichte ist eine leise, stille Erzählung im Hintergrund. Ihr folgt man gerne, das liegt auch an den bis in die Nebencharaktere glänzend besetzten Familien Kovacic und Schellenberg. Dass Vater Martin Schellenberg (Hans Löw) ein bisschen phlegmatisch wirkt und seine Kinder recht verwöhnt, sind noch die angenehmen Details, auf die die Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) stoßen.

Leitmayr und Batic haben genug Zeit für ihre Dialoge vom Typ "altes Ehepaar"

Klar, vielleicht hätten die beiden auch schon früher auf die Lösung kommen können. Aber dann hätte es denkwürdige Wortwechsel nicht gegeben wie den, als Ivo Batic im Hausflur der Schellenbergs ausruft: "Da ist ne Eidechse"! Woraufhin ihm die Hausbesitzerin erklärt: "Ja, wir haben hier ein Eidechsenproblem," - Pause - "die fallen vom Dach". Ist das noch München, ist das schon Mallorca? Wurscht, es ist herrlich. Neben den Ermittlungen haben Batic und Leitmayr gerade genug Zeit für ihre Dialoge vom Typ "altes Ehepaar" ("Hab ich des schonmal erzählt? - "Hundertmal!") und Kollege Hammermann (Ferdinand Hofer) auch mal eine gefühlte Ewigkeit, um ein Gummi von einer Posterrolle zu pfriemeln.

Zeit lassen, wo Zeit da ist, das muss nicht automatisch Langeweile bedeuten. Dieser Film kommt ohne Knall aus, ohne letzte falsche Verdächtigung und Abbiegung noch kurz vor Schluss. Trotzdem ist er spannend und hundsgemein. Und dann: beängstigend einfach und leise.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2020
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