Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus Göttingen:"Ich muss nochma' los wegen der Faschos"

Lesezeit: 2 min

Lindholm und Schmitz müssen einen Mord in der rechten Szene aufklären. "National feminin" greift pflichtschuldig ein wichtiges Thema auf - den Film ernst zu nehmen, fällt leider schwer.

Von Theresa Hein

Diese Rezension wurde zur Erstausstrahlung des Tatorts am 26. April 2020 veröffentlicht. Am 17. April 2022 wird der Film im Ersten wiederholt.

Dass Frauen zugleich jung, rechts und überzeugte Feministinnen sein können, davon handelt "National feminin". Social-Media-Star und Postergirl der "Jungen Bewegung", Marie Jäger (Emilia Schüle), wird ermordet im Göttinger Stadtwald gefunden, für die Rechten ein willkommener Anlass zur virtuellen rassistischen Hetzjagd: der Mörder muss Migrant sein.

Der Sendetermin von "National Feminin" in diesem April wirkt nur auf den ersten Blick schräg: dass Rechtsextremismus in Deutschland ein Problem ist, darauf kann man auch während der Coronakrise nicht genug hinweisen. Jenny Schily als provozierende Juraprofessorin Sophie Behrens ist die schauspielerische Galionsfigur dieses Films, und als sie einmal ein Weinglas an die Wand wirft, tut sie es mit der angemessenen Verachtung für Wein, Glas und Wand.

Natürlich wird auch wieder "auf eigene Faust" ermittelt

Und doch ist dieser Tatort nur eine weitere, unausgefüllte Schablone aus der Kategorie "wichtiges Thema pflichtschuldig aufgegriffen": Florian Oeller, Daniela Baumgärtl (Buch) und Franziska Buch (Regie) arbeiten lieber mit dem Hammer als mit der Feile. Die Rhetorik der Rechten, der Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) in den Vernehmungen der Mitglieder der "Jungen Bewegung" ausgesetzt ist, ist realistisch genug; an rassistischen Parolen muss man nichts überdramatisieren, das haben alle begriffen. Nur fühlt man sich am Ende des Films merkwürdig unkreativ torpediert, so, als bestehe der Sinn, auf Rechtsextremismus aufmerksam zu machen, in dessen bloßer Kopie im Fiktionalen.

Insgesamt leidet die Ernsthaftigkeit des Films von Beginn an: Da blickt ein Aktivist in die Kamera, dass man die Regieanweisung schier hören kann ("theatralischer Blick!"); dort ist mal wieder eine Kommissarin verliebt. Und natürlich müssen die Ermittlerinnen den Fall an das LKA abgeben. Der Topos des Ermittelns "auf eigene Faust" ist im Tatort ungefähr das Äquivalent zu Fahrradfahren ohne Helm. Bisschen dumm - "wild" ist aber dann doch was anderes.

Im Gedächtnis bleibt also die wiederholte Feststellung, dass heute wohl wirklich ein Scheißtag ist, da sind sich Schmitz und ihre Kollegin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) einig. Und Lindholms Unterhaltung mit ihrem Sohn, als sie erklärt, warum sie spätabends zur Arbeit muss: "Ich muss nochma' los wegen der Faschos". Der Junge versteht das, immerhin hat er vorher schon "im Netz" gelesen, was gerade los ist. Da ist der Authentizitätsanspruch dieses Tatorts dann endgültig dahin - das Wort "Netz" wird eher von 50- als von 15-Jährigen gebraucht. Oder, um es mit Wolfgang Herrndorf zu sagen: "Ja, so redet sie, die Jugend".

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 25.04.2020
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