Süddeutsche Zeitung

Serie:Egoismus für alle

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Die Miniserie "Work in Progress" berührt permanent unangenehm und versucht zwischen Queer- und Cis-Szene zu vermitteln.

Von Theresa Hein

Abbys Schwager Mike ist ein ganz netter Kerl. Aber er nervt Abby auch höllisch. Als er sich erkundigt, ob er eine Frage stellen darf, antwortet sie: "Wenn es was ist, was du in der Bibliothek nachschlagen kannst, dann nicht." Dann führt sie aus: Die Queer-Community - hier repräsentiert von Abby - sei schließlich nicht dazu da, alle ignoranten Fragen der Cis-Community - repräsentiert von Mike - zu beantworten, vor allem nicht, wenn der einfach zum Googeln zu faul sei. "Also. Hast du noch 'ne Frage"?

Natürlich hat er keine Frage mehr. Abby McEnany überfährt Leute gerne verbal. Sie nennt sich selbst fett und identifiziert sich, im realen Leben genauso wie in ihrer Comedy-Serie Work in Progress, als "fat queer dyke". ("Dyke" ist eine Selbstbezeichnung lesbischer Frauen). Mit Work in Progress hat die US-amerikanische Comedienne eine unterhaltsame und zugleich herzzerreißende Miniserie geschaffen. Die Serien-Abby befindet sich zum Zeitpunkt der Handlung nicht gerade in der besten Phase ihres Lebens und mutmaßlich hat sie gerade ihre Therapeutin mit einer ihrer Jammer-Sessions getötet. Deswegen will Abby sich umbringen, nach einer selbstgesetzten Zeitspanne von 180 Tagen.

Nicht nur die Erfahrungen, die Abby in der Serie macht, sind vom echten Leben McEnanys inspiriert. Der ganze Cast spielt so authentisch, als handle es sich um eine Doku-Serie: Ob das Abbys neuer Freund Chris ist (nervig zuckersüß: Theo Germaine), ein junger Transmann, oder Abbys dauerbesorgte und genervte Schwester (Karin Anglin). Und Abby McEnany selbst, die den Zuschauer peinlich berührt, wie es bislang nur Larry David in Curb Your Enthusiasm tat: Ihre Verunsicherung beim gemeinsamen Clubbesuch mit Chris liegen genauso unangenehm im Magen wie das Meeting mit Abbys Diätgruppe. Da hätte es die Schauspielerin Julia Sweeney, die eine fiktionalisierte Version ihrer selbst spielt, zwar nicht unbedingt noch obendrauf gebraucht. Ihr Charakter ist aber trotzdem zentral: Im realen Saturday Night Live spielte Julia Sweeney den Charakter "Pat", dessen Geschlecht schwer zu definieren war und der in den Neunzigern Vorlage für einen Haufen platter Witze bildete: Ist Pat eine Frau oder ein Mann? Keiner weiß es, so hässlich, haha. Diese Art von Humor.

McEnany hat sich Sweeney als Sweeney in die Serie geholt und muss somit, ein eleganter Trick, keine fiktiven Probleme besprechen, sondern kann am echten Fall die Fehltritte einer unsensiblen Mehrheit gegenüber der Queer-Community im 20. Jahrhundert bis ins Jetzt aufarbeiten. Natürlich hat auch Work in Progress Schwächen, ein verkitschter Hipster-Sonntagsbrunch zum Beispiel oder Szenen, in denen McEnanys Ironie ins Belehrende kippt, was aber auch Absicht sein könnte.

Schließlich lebt die Serie vom Sich-Winden angesichts der vielen Verlegenheitssituationen, die man sich gerne antut, weil sie so alltäglich sind. Immer geht es um den eigenen Egoismus, darum, nicht mehr besonders sein zu wollen - und doch etwas Besonderes.

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Quelle:
SZ vom 21.02.2020
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