Süddeutsche Zeitung

"Schöner Wohnen"-Jubiläum:60 Jahre Wohlfühlen

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Die Zeitschrift "Schöner Wohnen" hat Geburtstag - und lässt sich als Urgroßmutter aller Wohntrendgazetten feiern.

Von Gerhard Matzig

Unter dem Begriff "Schöner Wohnen" ist das Familienportal der Stadt Hilden bei Düsseldorf zu erreichen. Der Spiegel titelt "Schöner wohnen im Großstadtgetto". Bild denkt sich die Dachzeile "Schöner wohnen am Klinikum" aus, während die SZ jüngst fragte: "Schöner wohnen - nur für Reiche?" Und wie heißt die 53. Folge der Krimiserie "Ein starkes Team"? Genau: "Schöner wohnen".

Wenn die vor 60 Jahren im Januar 1960 erstmals erschienene Wohnzeitschrift als Original für jede imitierende Leihgabe ihrer genialischen, mal eher ratgeberhaft, mal auch imperativ klingenden Titel-Erfindung ein paar Cent erhielte, müsste sich der Verlag Gruner + Jahr über die zuletzt auf rund 165 000 Exemplare abgesackte Auflage - laut IVW 3/2019, das entspricht einem Minus von bald 60 Prozent seit 1998 - keine Gedanken mehr machen.

Aber auch wenn die Printauflage wie anderswo ein paar Wünsche offenlässt: Schöner Wohnen darf sich als Urgroßmutter aller Wohntrendgazetten zu Recht feiern lassen. Obwohl die Jubiläumsausgabe von "Europas größtem Wohnmagazin" trotz Layoutüberarbeitung und inhaltlicher Neuausrichtung (von der Stilbibel zum Einrichtungscoach) etwas arthritisch rüberkommt. Siehe Titel: "Sträuße mit Tulpen und Ranunkeln", "Alles über bodengleiche Duschen" und das "gut geplante Souterrain". Gut, man könnte grundsätzlich fragen, ob ein Keller als ungleich edler klingendes Souterrain ("sous-terrain": unter der Erde, also "unterirdisch"), je zum "charmanten Apartment" werden kann. Trotz aller Kellerausbautricks bleiben Keller meistens Keller. Aber wie gekonnt diese Tricks samt Grundrissgestaltung bis hin zu Deko-Ideen leserfreundlich wie anzeigenfreundlich ("z. B. von Schüco") vermittelt werden: Das macht der Zeitschrift bis heute kein juveniler Wohnblog nach.

In diesem Sinne gratulieren wir herzlich zum Geburtstag und legen der Redaktion einen Satz aus dem eigenen Interview mit der Wohnsoziologin Christine Hannemann, Seite 123, für die Zukunft ans Herz: "Was gebaut wird, geht an den Wohnbedürfnissen doch weitgehend vorbei." Auch in Wohnzeitschriften tauchen alternative bis futuristische Wohnkonzepte selten auf. Das wäre doch für Schöner Wohnen eine Gelegenheit, sich anregend weiterzubilden - auch als Best Ager. Nichts gegen Sträuße mit Tulpen und Ranunkeln.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2020
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