Süddeutsche Zeitung

Musikjournalismus beim "Rolling Stone":"Ich bin einfach eine von den Jungs"

Lesezeit: 4 min

Brigit Fuß ist beim Musikmagazin "Rolling Stone" für den Mainstream-Rock zuständig. Über eine, die etwas Verpöntes zum Glänzen bringt.

Von Harald Hordych

Birgit Fuß ist umgeben von Rock. In ihrem Büro in der Rolling-Stone-Redaktion in Berlin-Kreuzberg lassen die Idole Bruce Springsteen und Michael Stipe an den Wänden keinen Fragen über die persönlichen Vorlieben von Birgit Fuß zu, die dem Besucher aufmerksam entgegenblickt. So wie Menschen nun mal schauen, die es gewohnt sind, sich ein Bild von anderen Leuten zu machen: von Bruce Springsteen und Michael Stipe zum Beispiel, die sie beide mal getroffen hat. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Hunderte CDs. Der Anlass des Besuchs? Neugier auf eine Person, die einem seit Jahren beim Lesen auffällt. Höchste Zeit für eine Würdigung also.

Ihr Kerngeschäft ist seit 20 Jahren der Mainstream-Rock. Was recht lustig ist, wenn man bedenkt, dass der eingängigste und kernigste Rock, der manchmal gerne auch ein bisschen härter sein darf, bei AC/DC und Guns N'Roses beispielsweise, ausgerechnet von der einzigen Frau in der Redaktion betreut wird, die obendrein sehr zurückhaltend auftritt und einen sehr unrockerhaft sanften Eindruck macht. Als sie 1998 zum Rolling Stone als freie Autorin kam und bald die erste Redakteurin wurde (übrigens auch bis heute die einzige), fand das, was viele Menschen hören, wenn sie einen Radiosender einschalten, nicht statt: "Mainstream-Rock", wie Birgt Fuß das nennt. Tatsächlich hatte sich vorher niemand für genreprägende Bands wie U2 interessiert. Wenn nun so was wie der Gute-Laune-Punkpop der Toten Hosen regelmäßig gewürdigt wird, ist Birgit Fuß dafür verantwortlich. Es war schon so, dass die Redakteure schon mal zu Bon-Jovi-Konzerten gegangen sind - es habe halt nur nie jemand darüber geschrieben. Dafür wurde sie dann zuständig.

Bei ihr versteht man, warum viele diesen schönen Lärm so schrecklich und so toll finden

Birgit Fuß, die am Dienstag 49 Jahre alt wird, hat dafür einen eigenen Ton gefunden, der immer auffiel - unter all den Männertexten einst, und der auch jetzt noch auffällt, wo inzwischen Texte von Frauen häufiger im Blatt sind. Was Brigit Fuß schreibt, ist nicht nur sachlich und kundig, es steckt ein großer, ernst gemeinter Forscherdrang in den Texten, mit denen sie auf die ja nun mal meist todernst gemeinten Männerwelten blickt, vielleicht auch auf Männer überhaupt, die ja diese Musik hauptsächlich und eigentlich oft für sich selber machen. Über das Comeback von AC/DC nach dem Tod ihres Sängers Bon Scott schrieb sie: "Keiner würde wie Scott singen, keifen, raunzen können, auch das Unanständigste noch einigermaßen sinnlich verpacken und bei aller breitbeinigen Proletenhaftigkeit niemals dumm wirken."

Nein, Birgit Fuß schafft es, diese Spaßmusik zu feiern, aber davon nicht besoffen zu werden, sondern sie auf ihre Stärken und Schwächen abzuklopfen. In ihren Texten versteht man, wie viele ambivalente Signale in diesem schönen Lärm stecken und warum so viele ihn schrecklich und toll zugleich finden. Zum neuem Album von "Schock-Rock-Pionier" Alice Cooper, genau das ist der mittlerweile ältere Herr mit der ewigjungen Gruselaugen-Schminke, sprach sie mit aller gebotenen Seriosität natürlich über Rock 'n' Roll, vor allem aber politisch orientierten Haltungsrock in der Hardrockhauptstadt der USA, Detroit, und - passend zum Metier - die neue Chilisaucen-Reihe unter seinem Namen.

"Der Rock ist einfach hier drin", sagt sie und zeigt auf ihr Herz. Dylan, Young, Springsteen, R.E.M. die waren immer da, sagt sie, wie immer sachlich und ohne Wortgeklingel, das war auch schon so, als sie in einem kleinen Dorf bei Dachau aufwuchs und mit 13 wusste, dass sie Musikjournalistin werden wollte.

Sie ist jetzt die Frau fürs schöne Grobe in einer Redaktion auch nicht mehr ganz junger Männer, die gern ihren Vorlieben für anspruchsvolle populäre Musik von Blues-Rock, alternativem Country, Independent und Singer-Songwritern wie Bill Callahan frönen. Die deutsche Variante des amerikanischen Rolling Stone gehört seit dem Start 1994 zu den bestverkauften Musikzeitschriften Deutschlands, neben dem mittlerweile auch bei Springer erscheinenden Musikexpress. Seit zehn Jahren hält sich die verkaufte Auflage bei etwas mehr als 50 000 Stück, mit hauptsächlich selbst recherchierten Geschichten, die Übernahme von Porträt- und Interviewhighlights aus dem Mutterblatt ist die Ausnahme. Der Rolling Stone hat dank seiner Ausrichtung auf die klassischen Genres der populären Musik ein treues Publikum, über das Chefredakteur Zabel im Editorial schreibt: "Wir wissen, dass unsere Leser*innen uns vor allem für unser musikalische und musikhistorische Kompetenz schätzen."

Gegen welche Widerstände musste sie ihre Vorliebe durchsetzen? Sie lächelt

In diesem Jahr nun, festhalten, wagt der Rolling Stone was ganz Neues, zum Beispiel mit einem Foto, das Kate Bush zeigt - als alternative Ikone mit einem maßgeblichen Album aus der Mitte der 80er. Die Juli-Ausgabe zeigt die vor zehn Jahren gestorbene Amy Winehouse. Fuß verteidigt das Heft: "Wir sind da sehr viel emanzipierter, als die Leute immer glauben, die denken, dass der Rolling Stone alt ist, nur weil bei uns Neil Young und Bruce Springsteen vorkommen. Wir decken im Heft aber das ganze Spektrum ab."

Sie muss lächeln, wenn die Frage kommt, gegen welche Widerstände sie ihre Vorliebe durchsetzen musste. "Ach, hier waren alle immer sehr froh, dass ich dieses Mainstream-Rock-Spektrum abdecke. Ich bin einfach eine von den Jungs."

Was diese und andere gute Rockmusik ausmacht? Nicht in erster Linie die Musik, erklärt sie, sondern der gute Text. "Wenn jemand nicht texten kann, ist das für mich die schlimmste Musik." So bedächtig Birgit Fuß nach Antworten sucht, so gewissenhaft und unaufgeregt schürft sie auch in ihren Texten nach literarischen Zeilen in den Songs. Auf ihrem Handgelenk ist die R.E.M.-Zeile "Living well is the best revenge" tätowiert.

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