Süddeutsche Zeitung

Feature-Serie "Operation Kaffee":Der Geschmack der Krise

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Die DDR, der Mangel an Kaffee und ein verwegener Plan: Eine hörenswerte Feature-Serie über die politische Sprengkraft eines Heißgetränks.

Von Stefan Fischer

Roggen, Gerste, Erbsenmehl, Zichorie, getrocknete Zuckerrübenschnitzel: In den Siebzigerjahren bestand der Kaffee, den man in der DDR zu kaufen bekam, teilweise bis zu 50 Prozent aus diesen Zutaten, da infolge der Ölkrise von 1973 die Preise für viele Güter, darunter Kaffee, drastisch gestiegen waren und der klamme Staat nicht ausreichend Mittel hatte, um den heimischen Bedarf zu finanzieren. Die andere Hälfte in diesem Pulver immerhin waren gemahlene Kaffeebohnen. So ehrlich immerhin war man, dass man dieses Gemisch nicht als Kaffee, sondern als Kaffeemix in die Läden brachte. Geschmeckt haben die Menschen den Unterschied ohnehin. Und sich ihren Reim darauf gemacht: "Wer heute morden will, hat's leicht, Kaffeemix ist drauf geeicht."

Spottverse wie dieser kursierten zuhauf, und das war für die Führung der DDR durchaus gefährlich. Kaffee, so erzählt es Christian Schiller in der vierteiligen Feature-Serie beziehungsweise dem achtteiligen Podcast Operation Kaffee, war ein Gradmesser für die Normalität: "Kaffeemix fühlt sich an wie der Ausweis von Krise und Krieg." Er war schlecht für die Stimmung und die Moral im Land.

Kaffee aus Vietnam - darauf musste man erst einmal kommen

Schiller ist in Halle an der Saale aufgewachsen, wo unweit seines Elternhauses ein großes Silo für Kaffee stand. Genauer: leer stand. Dieses Bauwerk und warum es nie zum Einsatz gekommen ist, das ist der Ausgangspunkt einer Recherche, die Schiller gemeinsam mit Frédérique Veith und Marianne Wendt unternommen hat und die sie bis nach Vietnam geführt hat.

Sie erzählt vom Kaffee-Notstand in der DDR und wie die Staatsführung darauf reagiert hat: indem nämlich die DDR ein Kaffeeabkommen mit Vietnam abgeschlossen hat - einem Land, in dem bis dato überhaupt kein Kaffee angebaut worden war. Heute ist Vietnam einer der größten Produzenten, was vor allem auf das Engagement der DDR zurückgeht, und doch immer noch ein Außenseiter: äthiopischer Kaffee, kolumbianischer Kaffee - mit solchen Labels lassen sich die Bohnen besonders gut verkaufen. Aber vietnamesischer Kaffee?

Vietnam stellte Land und Arbeitskräfte, von beidem hatte Vietnam viel. Die DDR stellte Maschinen und Fachpersonal. Obwohl sie von beidem wenig hatte. Es war, für beide Seiten, ein großes Abenteuer. Schiller, Veith und Wendt erzählen davon mit großer Neugier: Es ist eine Geschichte, die - zumindest im Westen Deutschlands - wenig bekannt ist und doch sehr viel erzählt über die Verhältnisse in der kleinen DDR und in der großen, noch nicht globalisierten Welt zu Zeiten des Kalten Krieges. Eine Geschichte überdies, in der die Wende zu einer gravierenden Zäsur geführt hat, aber nicht zu ihrem Ende.

Operation Kaffee , SWR 2, 11. Juni 2023, 14.05 Uhr. Weitere Folgen am 18. und 25. Juni sowie 2. Juli.

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