Süddeutsche Zeitung

Journalismus:Dortmund gewinnt

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Die Stadt-Homepage liefert journalistische Inhalte. Dagegen haben die "Ruhr Nachrichten" geklagt. Der Streit um Pressefreiheit ging bis zum BGH - der nun ein Grundsatzurteil gefällt hat.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Presse erlebt schwierige Zeiten, die Printauflagen sind seit vielen Jahren im Sinkflug, und längst nicht alle Blätter haben sich frühzeitig auf den digitalen Wandel eingestellt. Vor allem für die Lokalzeitungen ist die Umstellung ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Da ist es wenig überraschend, dass die Verlage allergisch reagieren auf einen Konkurrenten, der sich seit einigen Jahren von unerwarteter Seite nähert. Kommunale Publikationsorgane wenden sich ihrerseits mit lokalen Nachrichten an die Bürgerinnen und Bürger und haben die graue Optik der einstigen Amtsblätter längst hinter sich gelassen. An diesem Donnerstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein Grundsatzurteil zur Zulässigkeit kommunaler Internetportale gefällt. Gewonnen hat die Stadt Dortmund - und der Fall zeigt, wie groß der Spielraum für kommunale Informationsangebote ist.

Geklagt hatte der Dortmunder Verlag Lensing-Wolff, der die Ruhr Nachrichten herausgibt, und zwar gegen das kommunale Portal dortmund.de. Ihr Anwalt Axel Rinkler hatte sich in der Karlsruher Verhandlung im Mai auf die "Institutsgarantie der freien Presse" im Grundgesetz berufen, die dazu gedacht sei, Gefahren von der Presse abzuwenden. Soll heißen: Wenn die Dortmunder sich auf dem städtischen Portal ähnlich umfassend informiert fühlen wie im Lokalblatt, dann werden sie keine Zeitung mehr kaufen.

Das Landgericht Dortmund hatte der Klage der "Ruhr Nachrichten" noch stattgegeben

Während das Landgericht Dortmund der Klage des Verlags noch stattgegeben hatte, handelte sich der Verlag nun beim BGH - wie schon zuvor beim Oberlandesgericht Hamm - eine Niederlage ein. Zwar hebt das Karlsruher Gericht das "Gebot der Staatsferne der Presse" hervor. Das ist eine Art Garantieschein des Grundgesetzes, der den Zeitungen Schutz vor kommunaler Konkurrenz bietet, also für Medien in staatlicher Hand. "Die öffentliche Hand muss sich bei Pressearbeit daher zurückhalten", sagte der Senatsvorsitzende Jörn Feddersen bei der Urteilsverkündung. Es dürfe nicht zu "Substitutionseffekten" durch kommunale Angebote kommen, "die dazu führen, dass die private Presse ihre besondere Aufgabe im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen kann".

Es geht, mit anderen Worten, nicht nur ums Geschäft, sondern um die Demokratie, die in Gefahr gerät, wenn ein aus dem Rathaus betriebenes Lokalmedium die privatwirtschaftliche Presse aus dem Markt drängt. Das Portal dortmund.de ist freilich, so schätzt es der BGH ein, noch zurückhaltend genug. Und dies, obwohl sich zum für das Verfahren relevanten Stichtag im Mai 2017 ein Sammelsurium bunter Beiträge auf der Website befand, über "Geschichten aus'm Viertel", das "Hofcafè im Kiez" oder ein Interview mit dem Titel "Wir tragen im Winter keine High Heels". Nach Einschätzung von Michael Rath-Glawatz, der den Verlag vor den unteren Instanzen vertreten hat, war es erklärtes Ziel der Stadt, eine digitale Gegenzeitung zu den Ruhr Nachrichten anzubieten, in der man sich nicht richtig dargestellt fühlte.

Die Pressefreiheit gerät in Gefahr, wenn das Presse-Angebot den Gesamteindruck prägt

Entscheidend für die Zulässigkeit kommunaler Portale ist laut BGH freilich nicht, dass einzelne Beiträge zu journalistisch ausgefallen sind. Untersagt werden könne ein kommunales Informationsangebot nur dann, wenn Artikel, wie man sie eigentlich aus der Presse kennt, den Gesamteindruck prägen. Zugleich stellte er klar, dass es nicht auf das quantitative Verhältnis zwischen "zulässigen" und "unzulässigen" Beiträgen ankommt. Und zwar deshalb, weil eine Kommune sonst einfach die Zahl der zweifelsfrei städtischen Texte nach oben schrauben könnte, um den journalistischen Anteil als unbedeutend darzustellen - denn die Kapazität im Internet kennt keine Grenzen. Der Anteil journalistischer Texte auf dortmund.de liege bei nur einem Prozent, sagt Sören Spoo, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. Doch in der BGH-Rechnung spielt das keine Rolle.

Der BGH knüpft damit an sein Urteil von 2018 zu den gedruckten Amtsblättern an. Damals hatte die Südwest Presse mit ihrer Klage gegen das Stadtblatt im baden-württembergischen Crailsheim Erfolg. Und damals klangen die Vorgaben des BGH noch ziemlich streng. Fast konnte man meinen, der BGH wolle den Kommunen immer noch das triste Grau der Amtsblätter als Leitbild verordnen. Kommunale Publikationen müssten sich auf Sachinformationen beschränken. "Dazu gehört auch, dass sich gemeindliche Publikationen keiner (boulevard)mäßigen Illustration bedienen und das Layout nicht nach Art einer Tages- oder Wochenzeitung gestalten dürfen", hieß es damals. Zudem beanstandete das Gericht "allgemeine Beiträge über ortsansässige Unternehmen, die Bewertung privater Initiativen oder die allgemeine Beratung der Leserinnen und Leser" - dies sei Sache der Presse. Auch Sport, Kunst und Musik sei normalerweise kein Stoff für kommunale Öffentlichkeitsarbeit.

Ein anderes BGH-Urteil könnte weiter Aufschluss geben: In München läuft eine Klage gegen muenchen.de

Hat sich der BGH im dortmund.de-Urteil von dieser strengen Linie entfernt? Noch steht die schriftliche Begründung aus, aber die mündlichen Urteilsverkündung klang nach mehr höchstrichterlicher Großzügigkeit gegenüber den Kommunen.

Schaut man heute auf dortmund.de, dann ist das Portal zwar unschwer als kommunales Angebot zu identifizieren. Aber es ist keineswegs auf städtische Basisinfos von Abfallsatzung bis Führerscheinumtausch beschränkt. Wer sich durch die Angebote klickt, findet unter Rubriken wie "Leben in Dortmund" oder "Freizeit, Kultur, Tourismus" vieles, was aus Lokalzeitungen vertraut ist, wenigstens in Zeiten, in denen Themenflaute herrscht. Die Hofmärkte laden zum Trödeln und Tauschen ein, der Zoo freut sich über Nachwuchs, Kinder gehen auf Insektensafari. Dazu kommt ein ausführlicher Veranstaltungskalender, der auch für jede Lokalzeitung stets zum Basisangebot gehört. Rechtsanwalt Rath-Glawatz will zuerst das Urteil studieren, lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass er den Gang vors Bundesverfassungsgericht für durchaus möglich hält. Denn es geht um Pressefreiheit.

Weiteren Aufschluss über die BGH-Linie wird möglicherweise ein Münchner Verfahren geben. Mehrere Verlage, darunter die Süddeutsche Zeitung, haben gegen das Portal muenchen.de geklagt und vor dem Land- wie vor dem Oberlandesgericht München gewonnen. Das sei fast schon ein Verkaufsportal, viel problematischer als in Dortmund, städtische Infos spielten eher am Rande eine Rolle, sagt Rath-Glawatz. In dem Fall gehe es auch um eine Frage, die bisher noch nicht abschließend beantwortet sei: Inwieweit dürfen städtische Portale Anzeigen annehmen und damit ins Geschäft der Verlage eingreifen? Der Fall ist noch nicht rechtskräftig; im November verhandelt der Bundesgerichtshof.

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