Süddeutsche Zeitung

Olympia-Kolumne "Geschlossene Gesellschaft":Lieber Schieber

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Der ARD-Skisprung-Experte Hannawald kramt vergessenes Zeug aus dem Sprachbaukasten.

Von Holger Gertz

So schattig die olympische Gegenwart, so strahlend war doch, angeblich, ihre Vergangenheit. Um diesen Glanz wachzuflüstern, hat sich der ARD-Skisprungexperte Sven Hannawald eine Spezialsprache antrainiert, er ist ein im Licht der Gegenwart stehender Mann, der sich allerdings anhört wie einer von früher, besonders in Momenten größerer Erregung: "Mein lieber Schieber", sagt das außer Hannawald eigentlich noch jemand? "Sekt oder Selters"? "Ach du grüne Neune"? Klingt schwer nach Günter Pfitzmann, der in den Drei Damen vom Grill zu wenig Wechselgeld rauskriegt.

Warum spricht einer, wie er spricht? Um zu testen, ob er noch verstanden wird. Hannawald kramt das alte Zeug aus dem Sprachbaukasten, hält es gegens Licht, und es schimmert ja noch. Es schimmert. "Sappradi, Bursch!", rief früher Harry Valérien, "Flieg, Albatros, flieg!", rief Jörg Wontorra. "Gib Gummi, Katha", ruft nun Hannawald. Denn diese Katha - Katharina Althaus - hatte Unterstützung nötig beim Skispringen von der Normalschanze. Früh zeichnete sich ab, dass sie es mit lauter Sloweninnen zu tun bekommen würde, und Hannawald analysierte die Bilder dieser Sloweninnen und sagte: "Aggressiv sitzen sie", was nun kein Wunder ist. Denn: "Bei Sloweninnen weiß man immer, dass die auf Krawall gebürstet sind." Nur selten noch werden ganze Nationen derart wertschätzend auf einen Begriff gebracht. Genauer gesagt hat man es seit Andi Brehme ("Die Brasilianer sind alle technisch serviert") so schön nicht mehr gehört.

Den Abfahrtslauf hat der grüne Wind von hinten auch noch verblasen - oder der blaue Wind von vorne?

Vierschanzentournee-Sieger Hannawald sah also die Slowenin Ursa Bogataj die Schanze herunterbrettern, "jetzt kann's natürlich scheppern", fürchtete er, und es schepperte natürlich, wenn damit gemeint ist: Slowenin gewinnt, Deutsche wird Zweite. Hannawald, fliegender Mann a. D., schaute auf Kontrollmonitore, auf blinkende Zahlen, auf winkende Pfeile und erkannte: "Bei der To-beat-Einblendung sieht man, dass der grüne Wind von hinten kommt."

Den Abfahrtslauf hat der grüne Wind von hinten später auch noch verblasen, vielleicht war's auch der blaue Wind von vorn. Man weiß es nicht. Mein lieber Schieber. Früh zeichnet sich ab: Als Zuschauer wird man nicht planen können. Man wird in vieler Hinsicht aggressiv sitzen - vorm Bildschirm bei diesen sogenannten Spielen. Aggressiv wie die Sloweninnen.

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