Süddeutsche Zeitung

"Öko-Test":2,3 Millionen Hefte zu wenig

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Massiver Verdacht: Bei 106 Sonderausgaben sollen seit 2010 Werbekunden mit falschen Auflagen gelockt worden sein.

Von Christoph Giesen und Klaus Ott

Der beim Verbrauchermagazin Öko-Test im vergangenen Jahr intern aufgeflogene und so bezeichnete "Anzeigenschwindel" soll bis ins Jahr 2010 zurückreichen. Das geht aus einem Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Freshfields hervor. Demnach war es im Frankfurter Verlag von Öko-Test üblich, der Anzeigenabteilung "zu hohe Auflagenzahlen für die Akquise von Kunden" zu nennen. Freshfields listet 106 Sonderausgaben von 2010 bis 2017 auf, in denen bei Themenheften, Jahrbüchern und Ratgebern die offiziell genannten Stückzahlen die tatsächlich gedruckten Auflagen teils weit überstiegen. Statt der angegebenen sieben Millionen Exemplare seien bei diesen 106 Sonderausgaben lediglich 4,7 Millionen gedruckt worden. Demnach hätten 2,3 Millionen Stück gefehlt. Die monatlich erscheinende reguläre Ausgabe ist davon nach Angaben der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), dem Mehrheitseigner von Öko-Test, nicht betroffen. Die DDVG ist die Medienholding der SPD.

Ersatzanzeigen im Wert von 800 000 Euro brutto gedruckt

"Wir haben einen gewaltigen Schaden, den wir aber nur sehr schwer quantifizieren können", sagt DDVG-Geschäftsführer Jens Berendsen. Er gehört dem Aufsichtsrat von Öko-Test an. Der DDVG zufolge sind 94 Kunden mit Ersatzanzeigen entschädigt worden; bei zwei Kunden habe man Schadenersatz gezahlt. Die Ersatzanzeigen hätten brutto einen Wert von 800 000 Euro gehabt. Dies könne man aber aus mehreren Gründen nicht direkt als Schadenssumme bei Öko-Test ansetzen. Hinzu kämen Anwalts- und Gutachterkosten, der Imageschaden und mögliche Probleme beim künftigen Anzeigenverkauf. Die DDVG beruft sich auf Auskünfte der Geschäftsleitung von Öko-Test. Laut DDVG sind die falschen Auflagenzahlen nicht jedem davon betroffenen Anzeigenkunden automatisch genannt, sondern in der Regel auf Anfrage mitgeteilt worden.

Unklar ist, ob Öko-Test Schadenersatz von der früheren Verlagsleitung fordern wird, was bislang nicht geschehen ist. DDVG-Chef Berendsen verwies auf den heutigen Verlagschef Hans Oppermann, der am Mittwoch nicht erreichbar war. Bei Öko-Test wird der frühere Chefredakteur und Geschäftsführer Jürgen Stellpflug mitverantwortlich gemacht. In der Niederschrift einer Telefonkonferenz des Aufsichtsrates vom 25. Mai 2018 heißt es, Stellpflug habe "möglicherweise bei rechtswidrigem Handeln mitgewirkt bzw. jedenfalls seine Augen vor offensichtlich rechtswidrigen Vorgängen verschlossen" und so der Öko-Test-Holding "unter grober Verletzung seiner Geschäftsführerpflichten erheblichen Schaden zugefügt". Die Niederschrift stammt von Berendsen. Stellpflug war aus mehreren Gründen gekündigt worden. Er klagt dagegen und erhebt seinerseits schwere Vorwürfe gegen die DDVG.

Jürgen Stellpflug sagt, er habe von falschen Zahlen nichts gewusst. In einem Brief an die Aktionäre von Öko-Test (der Verlag gehört auch vielen kleineren Aktionären) schrieb Stellpflug Mitte 2018, er habe sich "selbstverständlich zu keinem Zeitpunkt" etwas zu Schulden kommen lassen. Ein erstes Verfahren beim Arbeitsgericht Frankfurt hat Stellpflug gewonnen.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2019
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