Süddeutsche Zeitung

Affäre um "News of the World":Der Sumpf von Scotland Yard

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"Wir wissen, dass es korrupte Polizisten gibt": Erst skrupellose Journalisten, jetzt auch noch ein bestechlicher Beamtenapparat. Die "News of the World"-Affäre hätte längst aufgeklärt werden können - doch John Yates, Vizechef der Londoner Polizei, sah trotz neuerlicher Abhörvorwürfe keinen Anlass zu Ermittlungen.

Alexander Menden, London

Noch vor zwei Wochen sagte der Londoner Polizeichef Sir Paul Stephenson, es wäre ihm natürlich lieber, seine Beamten würden Raubüberfälle aufklären, statt sich um Kleinkram wie die Abhöraktivitäten des Boulevardblatts News of the World zu kümmern. Mittlerweile ist die Zeitung Geschichte, der Abhörskandal weitet sich aus, und Scotland Yard wird immer tiefer hineingezogen. Am Dienstag sah sich Stephensons Stellvertreter, Assistant Commissioner John Yates, gezwungen, vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss "rückblickend" sein "Bedauern" auszudrücken, die Abhöraffäre nicht früher und entschiedener aufgeklärt zu haben. Verschleppung und Bestechlichkeit - das wird den Beamten nun vorgeworfen.

"Yates of the Yard", wie der 52-Jährige in den Medien genannt wird, wäre damit nicht die Offenlegung der Tatsache erspart geblieben, dass Beamte seines eigenen Polizeiapparates jahrelang von Reportern der News of the World geschmiert worden waren. Auch hätte er früher eingestehen müssen, dass offenbar auch sein eigenes Telefon abgehört wurde. Aber zumindest hätte er den Eindruck vermieden, gar kein rechtes Interesse an der Aufklärung eines Abhörskandals zu haben, der vergangene Woche dazu führte, dass die 168 Jahre alte Boulevardzeitung eingestellt wurde.

Im Juli 2009 ergab sich die Gelegenheit, eine bereits für abgeschlossen erklärte Untersuchung der News of the World wieder aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die mehr als 11.000 Seiten Material, die bei dem Privatermittler Glen Mulcaire sichergestellt worden waren, bereits seit drei Jahren in Säcken herumgestanden. Mulcaire war 2007 zu einer Haftstrafe verurteilt worden, nachdem er sich gemeinsam mit dem News-of-the-World-Reporter Clive Goodman schuldig bekannt hatte, Mitglieder der Königlichen Familie belauscht zu haben.

Damit hatte die Metropolitan Police die erste polizeiliche Untersuchung als Erfolg verbucht und abgeschlossen. Nachdem der Guardian 2009 über neue Abhörvorwürfe geschrieben hatte, beauftragte Sir Paul Stephenson seinen Stellvertreter, zu prüfen, ob eine neue Untersuchung gerechtfertigt sei. John Yates entschied nach "achtstündiger Überlegung", das vorliegende Beweismaterial sei "eingehend examiniert" worden, und es gebe keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.

Dies geschah, obwohl sich Yates zu diesem Zeitpunkt bereits zu "99 Prozent" sicher war, dass zwischen 2005 und 2006 sein eigenes Mobiltelefon abgehört worden war. Vor dem Untersuchungsausschuss betonte Yates, die Verzögerung sei auch News International von Rupert Murdoch anzulasten. Der Verlag, bei dem die News of the World erschien, habe der Polizei erst vor kurzem wichtiges Material vorgelegt, das den Verdacht gegen die Zeitung erhärtet habe. Der konservative Abgeordnete Michael Ellis meinte daraufhin, der Vize-Polizeichef sei wohl noch immer unwillig, wirklich Verantwortung zu übernehmen. "Erwarten Sie etwa, dass die Täter mit der Polizei kooperieren?", fragte Ellis.

John Yates wehrt sich gegen Vorwürfe, die Polizei habe ein viel zu enges Verhältnis mit den News of the World unterhalten, und den Fall deshalb schleifenlassen. Er verweist auf die Sicherheitslage im Juli 2009: Dieselbe Einheit, die sich um die Abhöraffäre kümmerte, habe in derselben Woche al-Quaida-Anschläge auf mehreren Transatlantikflügen vereitelt.

Der ehemalige Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, der zurzeit wieder für das Amt kandidiert, hält dieses Argument für "völlig unberechtigt". In einem BBC-Interview sagte Livingstone, die Metropolitan Police hätte genügend Ressourcen zur Verfügung gehabt, gleichzeitig auch die Abhöraffäre intensiver zu verfolgen. Zudem, so der Labour-Politiker, sollte geklärt werden, warum Andy Hayman, der die erste, sehr begrenzte Untersuchung gegen Mulcaire und Goodman geleitet hatte, jetzt als Kolumnist bei der Times arbeitet. Die Times gehört, wie die eingestellte News of the World, Murdochs News International.

Anfang der Woche war bekannt geworden, dass das Blatt sich seine Informationen über die Royals nicht nur durch Abhören beschafft hatte, sondern auch durch Bestechung eines Polizeibeamten der "Royal Protection Unit". Es war die jüngste in einer Reihe von Enthüllungen, denen zufolge Polizeibeamte Geld von News of the World angenommen haben. "Wir alle wissen, dass es korrupte Leute bei der Met gibt, und dass das immer so sein wird", sagte Yates vor dem Untersuchungsausschuss. Dies sei bei einer Organisation von 55.000 Beamten nicht zu vermeiden.

Die Tory-Abgeordnete Lorraine Fullbrook fragte den Assistant Commissioner unverblümt, ob er selbst jemals Geld von einer Zeitung angenommen habe. John Yates, der sich vor dem Untersuchungsausschuss durchgehend beherrscht und unverzagt gab, nannte diese Frage "erstaunlich" und verneinte sie entschieden. Dennoch hängt für ihn viel vom Ergebnis der neuerlichen Ermittlungen gegen News of the World ab. Verschiedene Parlamentarier haben bereits Yates' Rücktritt gefordert.

Doch auch wenn er im Amt bleibt, hängt die Erfüllung seines Ziels, selbst Chef der Metropolitan Police zu werden, davon ab, wie überzeugend die Abhöraffäre aufgeklärt wird. Der Ausschussvorsitzende Keith Vaz nannte Yates' Aussagen jedenfalls "nicht überzeugend". Es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, dass der Polizist sich bohrenden Fragen stellen muss.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2011
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