Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Zum Tod des Reporters Ernst Hess

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Unter dem Pseudonym "Peter Brügge" schrieb Hess jahrzehntelang für das Magazin "Spiegel" und war lange dessen Erster Reporter. Nun ist Hess 91-jährig in München gestorben.

Von Willi Winkler

Ein Jahr nach der Entlarvung von Claas Relotius hat der Spiegel seinen besten Reporter verloren: Ernst Hess hat über dreißig Jahre lang bei dem Hamburger Nachrichtenmagazin aus Nachrichten Geschichten gemacht und mit diesen das Epos der wirtschaftswunderlichen Bundesrepublik geschrieben, wie es Thomas Mann nicht besser gelungen wäre. Hess ließ seine Leser teilhaben an der großen Welt der Marinebälle, Krupp-Jubiläen und Adelshochzeiten, mied die Buchmesse aber ebenso wenig wie das Treiben der Münchner Polizei oder der Kommune 1 und beobachtete auf der Antiquitätenmesse, wie Geld zum Holze findet: "Selten ist Tuchfühlung mit neuem Reichtum so zuverlässig zu erwarten, wie in der Nachbarschaft alter Kostbarkeiten."

Begonnen hatte er als Volontär im Archiv der Süddeutschen Zeitung, er setzte seine Laufbahn im Bayernteil fort, wurde Reporter und vom Spiegel entdeckt, der einen seiner Texte dankbar nachdruckte. Fünf Jahre ließ er um sich werben, ehe er 1961 von der Zeitung zum Magazin wechselte, das damals neben dem des Gründers Rudolf Augstein keine Namen von Mitarbeitern im Blatt duldete. Ernst Hess wurde aber kein Spiegel-Automat, sondern unter dem Pseudonym Peter Brügge der Erste Reporter des Hauses. Er ging auch nicht nach Hamburg ins "Rudolfinum", blieb lieber in München wohnen, das er aus eigener Schreibvollkommenheit 1964 in einer Titelgeschichte zu "Deutschlands heimlicher Hauptstadt" erhob.

Bereits im ersten Absatz seiner ersten Geschichte verstieß er gegen ein Grundgesetz und führte sich gnadenlos als Ich-Erzähler ein. 1966 nutzte er die im Fasching gebotene Gelegenheit zur Kritik an seinem Arbeitgeber, um gegen die dort "frostig gepflegte Atmosphäre" den Kenner, also wieder sich, auszuspielen, der die "nonchalante Verwahrlosung für den gesündesten Nährboden der Zeitungskunst hält". Verlagsdirektor Hans Detlev Becker zahlte es ihm heim, indem er ihn in der Hausmitteilung als "Sandviper" bezeichnete, die ihre Ausgaben bis zum frackbedingten Hosenträger peinlich genau abrechnete. Doch ebenso gründlich wie seine Spesenabrechnung bearbeitete Hess Geschichten, die er mit vermeerischer Feinmalerei, gern auch mit beherztem Einsatz des Zeugmas, präsentierte: "Die Damen trugen Schlichtes und damit dem Umstand Rechnung, dass ein Himmel voller Heiliger in den Handel kommen würde, von Kreuzen, Monstranzen und den am Sofa so beliebten Altarleuchtern ganz abgesehen."

Zuletzt rezensierte er 1998 "Das Magazin", Hellmuth Karaseks Schlüsselroman über den Spiegel, und konnte dem Autor vorwerfen, wie schäbig er Rudolf Augstein, beider Gönner, zum Flachmann karikiert hatte. Nach seiner Pensionierung schrieb er noch einige Beiträge für diese Zeitung. Ernst Hess starb bereits am 1. Dezember 91-jährig in München; eine Gedenkfeier findet an diesem Dienstag auf dem Münchner Nordfriedhof statt.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2020
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