Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Reportergemüt

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Am Anfang seiner journalistischen Laufbahn war er der "politische Triebforscher" beim "Spiegel". Bald war er preisgekrönt. Und später moderierte er 14 Jahre lang die "NDR-Talkshow". Zum Tod des früheren "Geo"-Chefredakteurs Hermann Schreiber.

Von Willi Winkler

Der Reporterkollege Peter Brügge nannte ihn einen "politischen Triebforscher", eine Stelle, die beim Spiegel sonst nicht vorgesehen war, aber Hermann Schreiber durfte dort von 1964 an in diesem Amt wirken, wenngleich er sich als Psychologe über den "Mangel an redaktioneller Nestwärme" beklagte. In diesen frühen Jahren gehörte er zu den vier Redakteuren, die dort mit Namen auftreten durften, und so erfuhr der Leser, dass ein mögliches Tempolimit verkehrsgefährlich sei (Schreiber fuhr selbstverständlich einen Sportwagen) und die Leserin bekam eindringlich geschildert, wie sich Alleinsein anfühlte.

1978 interviewte Schreiber Peter Handke und ließ ihn den "ontologischen Riss" schildern, der dem Trend zum Single-Dasein vorausgehe. Sogar auf Rousseau durfte sich Handke berufen, der Spiegel-Leser, von Schreiber angeleitet, konnte das damals noch verkraften. Aber auch das: "We've had a couple of good kills over here", zitierte Schreiber einen Informationsoffizier der amerikanischen Armee im Vietnamkrieg, was also so viel heißt wie: Wir haben dort drüben ordentlich viel Leute umgebracht. Für diese Reportage erhielt Schreiber 1966 den Theodor-Wolff-Preis. Die Nestwärme suchte er dann bei der Konkurrenz, bei Gruner + Jahr, wohin er nach fünfzehn Spiegel-Jahren wechselte. Bei Geo wirkte er als Chefreporter und bald als Chefredakteur. Und er moderierte, was seinem Pfälzer Gemüt am meisten entsprach, zusammen mit Journalisten-Kollegen vierzehn Jahre lang die NDR-Talkshow.

Nebenbei schrieb er Bücher über Philip Rosenthal und Willy Brandt, dazu eine zwar historisch interessante, aber eher verschleiernde Biografie des Stern-Gründers Henri Nannen, der ihn in die Jury des Egon-Erwin-Kisch-Preises berufen hatte. In der Osternacht ist Hermann Schreiber im Alter von neunzig Jahren gestorben.

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SZ vom 16.04.2020
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