Süddeutsche Zeitung

Nachlese zum "Tatort":Falke versteht die Welt nicht mehr

Lesezeit: 3 min

Das letzte Mal Falke und Lorenz gemeinsam im "Tatort" - und wie! Der Kommissar schlägt zu. Und seine Kollegin überlistet einen Nazi-Polizisten.

Von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um den Fall Oury Jalloh. Der Mann aus Sierra Leone verbrannte 2005 in einer Zelle des Polizeireviers Dessau. Bis heute ist ungeklärt, ob Jalloh wirklich selbst seine Matratze in Brand steckte, wie von der Polizei dargestellt. An dieser Version gibt es Zweifel, denn Jalloh war an seiner Liege fixiert. Zudem hatten ihn Beamte durchsucht - ein Feuerzeug, das er später zum Anzünden der Matratze benutzt haben soll, war dabei nicht gefunden worden. So weit hält sich der Tatort "Verbrannt" an die realen Fakten. Doch die Drehbuchschreiber erlauben sich beim letzten gemeinsamen Fall von Thorsten Falke und Katharina Lorenz weitreichende künstlerische Freiheiten: Kommissar Falke gerät vor der Festnahme des fiktiven Asylbewerbers in ein Handgemenge mit dem Verdächtigen und schlägt dabei brutal zu. Kollegin Lorenz ist entsetzt und trägt sich mit Kündigungsgedanken. Für reichlich emotionale Verquickung ist also gesorgt.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ- Tatort-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichnender Dialog:

Die Kommissare kehren nach ihrem entgleisten Einsatz gegen zwei verdächtige Schwarzafrikaner zurück ins Hotel. Auf dem Flur kommt es zur Aussprache zwischen den Ermittlern.

Falke: Was denn? Ich dachte, Sie sind schwer verletzt. Der hat Sie niedergeschlagen, und dann lagen Sie da so!

Lorenz: Da kommen zwei Weiße auf ihn zu - was ist, wenn der einfach Angst hatte? Wir hätten Rechte sein können.

Falke: Wir haben doch "Polizei!" gerufen und alles.

Lorenz: Ja - das können die auch!

Falke: Ach, so ein Quatsch!

Lorenz: Sie haben auf ihn eingedroschen wie ein Verrückter! Es ist Nacht, die sind schwarz ... (Kurz zuvor bei der Überwachung der Verdächtigen hatte Falke auf die Frage des Einsatzleiters, ob er die Zielpersonen erkenne, gesagt: "Es ist Nacht, die sind schwarz.")

Falke: Ach so, alles klar. Der Typ ist doch nicht irgendwer! Der ist der Hauptkontaktmann von einem Ring internationaler Schleuser!

Lorenz: Gut zu wissen, sah für 'nen Moment anders aus. (Geht in ihr Hotelzimmer.)

Die besten Zuschauerkommentare:

Die beste Szene:

Dieser Tatort fängt die Tristesse der Provinz ein, manchmal klischeehaft, manchmal eindrücklich. So hat man wohl selten einen trostloseren Ort gesehen als das Hotelrestaurant, das eher an eine Autobahn-Raststätte erinnert. Dabei ist hier niemand auf der Durchreise, hier ist Endstation - auch für Lorenz und Falke.

Lorenz: "Ich kann das nicht mehr. Wenn das hier vorbei is, dann geh' ich weg." - Falke: "Du kannst nicht aufhören, das geht nicht." - Lorenz: "Doch." - Falke: "Nein!" - Lorenz: "Doch." - Falke: "Man kann nich' einfach aufhör'n. Was ist denn los mit allen hier? So ein Schwachsinn! Also ..." - Lorenz: "Falke." - Falke: "Das ist doch das Allerletzte. Das gibt's doch nicht!"

Top:

Der Krimi, in dem am Ende die Guten über die Bösen triumphieren, ist aus der Mode gekommen. Für Illusionen ist kein Platz im Polizeialltag - und erst recht nicht im Tatort. Normalerweise. Doch zum Abschluss gönnen die Macher dem Duo Lorenz/Falke ein Rundum-Happy-End. Die Kommissarin bringt den Fall, der im wahren Leben ungelöst blieb, zu einem versöhnlichen Abschluss - mit einer Finte, wie sie auch Miss Marple hätte einfallen können, hätte es zu ihrer Zeit schon Handys gegeben. Und ja, es gibt auch eine letzte, sehnsuchtsvolle Umarmung. Zuweilen ist die Utopie etwas Schönes, zumal am Sonntagabend.

Flop:

Wer ist verantwortlich dafür, dass ein Mann in seiner Zelle qualvoll stirbt? Zumindest im Film gibt es eine konkrete Antwort: Polizisten. Lorenz und Falke decken eine Verschwörung auf: Es geht um menschenverachtende Initiationsriten bei der örtlichen Polizei und einen Dienststellenleiter (Werner Wölbern), der sein Revier wie einen Nazi-Kult führt. Das Finale steigt im Wohnzimmer des Polizeichefs, und wie die Truppe da so im Kreis steht und mit Schnaps auf rechte Parolen prostet - das ist dann doch zu viel des Guten. Oder Schlechten.

Bester Auftritt:

Klar, ein bisschen holzschnittartig waren Lorenz und Falke immer. Sie, die schöne wie kühle Blonde, die aber doch Herz beweist. Zum Beispiel, wenn sie einer Frau nachrennt, die im Supermarkt versucht hatte, eine Flasche Wein mit Essensmarken zu bezahlen - und ihr die Flasche Wein überreichen will. Und er, der grobschlächtige Ritter, der zuschlägt, wenn seine Prinzessin, pardon Kollegin bedroht wird. Aber im Zusammenspiel passte das, bei aller Klischeehaftigkeit war die Partnerschaft von Petra Schmidt-Schaller und Wotan Wilke Möhring spannender anzuschauen als die manch anderer Tatort-Teams. Nun hört Schmidt-Schaller auf, für sie übernimmt ab der kommenden Episode "Himmelfahrt" Franziska Weisz. "Schade, Sie sind 'ne gute Polizistin", sagt Falke zum Abschied - dem möchte man zustimmen.

Erkenntnis:

"Verbrannt" vermischt Fakten und Fiktion. Das ist über weite Strecken unterhaltsam, verwässert aber auch die Botschaft. Lautet sie nun: "Der Fall Oury Jalloh wäre aufzuklären - wenn die Justiz nur wollte"? Oder doch eher: "Wenn doch nur alles so einfach wäre wie im Film"?

Die Schlusspointe:

Falke sitzt in seinem Wagen, am Autofenster ziehen trostlose Landschaften vorbei. Flüchtlinge kommen dem Kommissar entgegen, sie laufen am Straßenrand in Richtung jenes Ortes, aus dem Falke kommt. Jener Ort, in dem der einzige Gott ein Polizist mit Allmachtsfantasie ist. Dazu läuft Billie Holidays tieftrauriges Anti-Rassismus-Lied "Strange Fruit".

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